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Archiv-Artikel

Adrienne Woltersdorf über OVERSEAS Die innere Unsicherheit

Das Sicherheitsdenken der Amerikaner ist ziemlich verquer: Explodierende Stromkabel sind okay, Atheisten nicht

Was schätzen Amerikaner am meisten, wenn sie mal eine Zeit bei uns in Deutschland leben? Nein, nicht das tolle Mehrkornbrot, davon bekommen sie nämlich Blähungen.

Bier? Schon eher. Zugfahren? Auf jeden Fall.

Eine amerikanische Freundin aus New York, die dank großzügiger Austauschstipendien mal drei Jahre in Berlin verbrachte, vertraute mir an, dass sie es am schönsten gefunden hat, dass sie sich endlich einmal „safe“, also sicher, fühlen konnte.

„Safety“ ist nämlich ein Dauerthema in Leben unserer US-amerikanischen Brüder und Schwestern. Einerseits lieben sie das Risiko und finden, dass es sich natürlich auszahlen muss, Risiken auf sich zu nehmen. Also, wer mit der erstbesten Geschäftsidee zum Millionär geworden ist, wird es schon „verdient“ haben, denken sie. (Bei uns wird umgekehrt sofort gemutmaßt, dass nur reich werden kann, wer schweinische Methoden anwendet.)

Weshalb sich Menschen in den USA für ihr Studium, ihr erstes Vorstadthaus, den flachsten Flachbildschirm und die neue Herzklappe Schuldenberge in der Größenordnung des Himalaja-Gebirges aufladen, die uns Wohlfahrtsstaat-Deutschen die Haare zu Berge stehen lassen würden.

Angesichts solch chronisch prekärer Lebensentwürfe, die täglich die philosophische Möglichkeit des Komplett-Absturzes beinhalten, überrascht es mich dann doch des Öfteren, dass dies alles unter dem Begriff Freiheit zusammengefasst und mehr oder weniger der gute „American Way of Life“ genannt wird.

Und ja, irgendwie verteidigen meine amerikanischen Freunde dieses Modell auch noch nach dem fünften Bier, also muß ich annehmen, dass sie so und nicht anders leben wollen. Schlimmer noch: Sie beneiden mich nicht einmal ernsthaft um meine gesetzliche Krankenversicherung.

Wenn’s nur das wäre.

In Washington kommen zu den allgegenwärtigen Schuldensorgen aber noch weitere Misslichkeiten des Alltagslebens hinzu. Nicht nur, dass Dick Cheney jeden Abend zu seiner Villa im Washingtoner Observatorium chauffiert wird – und zwar mitten durch die Stadt.

Außerdem kommt aus dem Wasserhahn untrinkbares Trinkwasser, Stromkabel explodieren regelmäßig und die Mordrate ist so hoch, dass die Stadt immer wieder mal Anwärterin im klandestinen Wettbewerb um den Titel „Murder Capital“ der USA ist.

Aufregung gibt es immer nur dann, wenn auch mal ein Weißer umgebracht wird. Aber das ist ein anderes Thema. Was in den USA aber gar nicht toleriert werden mag, weil „unsafe“, sind Atheismus, Kommunismus und Frauen, die behaupten, ihr Bauch gehöre ihnen. Für mich sind das – vorsichtig gesagt – völlig abstrakte Risiken. Ich verstehe irgendwie nicht, wie eine Nation von Abenteurern und Bankrotteuren ausgerechnet beim Anblick von Hammer und Sichel Angstzustände bekommt. Immerhin habe ich Asterix und Obelix gelesen und kenne daher das Problem mit dem Himmel, der einem vermeintlich auf den Kopf fallen könnte.

Norman Birnbaum, alter Washingtoner taz-Freund, der in dieser Zeitung auch des Öfteren schreibt, hatte meinem Liebsten und mir kurz nach unserer Ankunft in Washington bei einem Lunch in seinem etwas verstaubten, aber freidenkerischem Debattierclub, dem ehrwürdigen Kosmosclub, vor allem eines glaubwürdig mit den auf den Weg gegeben: Ihr dürft hier alles sagen, aber nicht, dass ihr unreligiös seid und an linke Ideen glaubt.

Nun gut, er fügte noch hinzu, dass Schwulsein im offiziellen Washington auch gar nicht geht, aber das trifft in unserem Fall nicht zu. Immerhin habe ich mir gemerkt, dass allein das Gerücht, schwul oder lesbisch zu sein, reichen soll, um im US-Rampenlicht erledigt zu sein, und es deshalb, so versichern mir auch meine amerikanischen Freunde, Condoleezza Rice nie zur Präsidentschaftskandidatur bringen wird, weil eben gemunkelt werde, sie sei … hm.

Ich glaube ja eher, sie ist nix, aber das ist wohl so schlimm „unsafe“ wie atheistisch sein.

Fotohinweis: Adrienne Woltersdorf OVERSEAS Fragen zur Sicherheit? kolumne@taz.de Morgen: Barbara Bollwahn ROTKÄPPCHEN