Adoleszenz-Spielfilm "Swans": Zu kaum einer Regung fähig
Hugo Vieira da Silvas Spielfilm "Swans" erforscht die Krise eines Heranwachsenden. Als Studie von Oberflächen und Körpern funktioniert das sehr gut.
Reden wäre keine schlechte Idee. In Hugo Vieira da Silvas "Swans" wird dieser Gedanke an gleich zwei Stellen geäußert. "Wir sollten vielleicht reden", sagt der Vater zu seinem Sohn, als der wortlos das Wohnzimmer verlassen will. Später empfiehlt ein Polizist dem Vater, mit dem Jungen zu sprechen. Manuel scheint sich zum Unruhestifter zu entwickeln, die Polizei hat ihn beim Graffitisprühen erwischt. Der Vater weiß darauf keine Antwort. Was soll man reden, wenn man sich nichts zu sagen hat?
Manuel und sein Vater Tarso haben sich seit Jahren nicht mehr gesehen. Nach Berlin sind sie gemeinsam für eine Familienzusammenkunft der unangenehmen Art gekommen. Manuels Mutter liegt nach einer Chemotherapie im Koma. Der Junge hat keine Erinnerung an die Mutter, und wie er sie so das erste Mal im Krankenbett sieht, kahlköpfig, mit Schläuchen verkabelt, kann er zunächst auch keinen emotionalen Bezug zu diesem reglosen Wesen herstellen.
Wie ein Alien liegt sie da; alles Menschliche scheint aus ihrem Körper gewichen. Der Junge flieht hinaus auf die Straße, in den Skatepark, auf Häuserdächer. Immer wenn Manuel auszubrechen versucht, kommt Bewegung in den Film. Die übrige Zeit herrscht absoluter Stillstand.
Regie: Hugo Vieira da Silva. Mit Kai Hillenbrand, Ralph Herforth u. a. Deutschland/ Portugal 2010, 120 Min.
Mit kühler Präzison entwirft Vieira da Silva mit "Swans" monochrome Tableaus von großer räumlicher und emotionaler Distanz. Nicht nur die Figuren sind zu kaum einer Regung fähig, auch der Regisseur lässt seine Einstellungen lange auf den Menschen, auf Gegenständen und Räumen ruhen. Manchmal sitzen Vater und Sohn einfach nur stumm nebeneinander, während im Hintergrund der Fernseher läuft. Im Krankenhaus dominiert das Summen der Neonlichter und der lebenserhaltenden Apparate.
Klinischer Ton
Der Ton hat bei Vieira da Silva etwas Klinisches: Die Dialoge klingen flach, wie fehlerhaft nachsynchronisiert, Musik und die Stimmen aus dem Fernseher verhallen dumpf. Nur zweimal drängt die Musik sich in den Vordergrund, deutscher HipHop und harter, schneller Skatepunk: Das ist der Sound Manuels. Für einen Moment kommt "Swans" aus der Reserve und wird plötzlich ganz konkret.
Formal bleibt der Film mit seiner distanzierten Montage (jede Einstellung verfasst im Grunde eine eigene Erzähleinheit) dennoch weitgehend abstrakt, ähnlich wie die reglose Frau, in der Manuel seine leibliche Mutter zu erkennen versucht. Da es ihm emotional nicht gelingt, diese Verbindung herzustellen, wird ihr Körper zu seiner Fixierung - zunächst rein symbolischer Natur (der Torso als Projektion uneingelöster Mutterliebe), später explizit sexuell. Der Anblick der nackten Mutter korrespondiert mit Manuels erwachenden Libido.
Die Verwirrung des Jungen wird durch die geheimnisvolle Mitbewohnerin seiner Mutter gesteigert. Wie ein Gespenst streift sie im gemeinsamen Apartment herum. Einmal erhascht Manuel einen Blick auf ihr männliches Geschlecht, kurz ist die biologische Ordnung gestört, wie sie für ihn im Bild der Mutter manifestiert ist. Er stiehlt heimlich ihre (Damen-)Unterwäsche, als könnten Fetischobjekte eine normative sexuelle Ordnung wiederherstellen.
Der Formwille des Regisseurs stößt erzählerisch streckenweise auch an Grenzen. Der strenge Erzählgestus verengt permanent Handlungsräume, er arretiert die Figuren regelrecht in ihren individuellen Blockaden. Das Coming-of-Age-Drama findet in "Swans" keine überzeugende filmische Umsetzung. Als Studie einer sich selbst fremden Gefühlswelt verblüfft der Film aber durch seine klare Gegenständlichkeit. Vieira da Silvas Ästhetik, konsequent den Oberflächen und Körpern verhaftet zu bleiben, wird so durchaus plausibel.
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