Abwrackwerften in Südasien: „Pässe der Toten werden verbrannt“
Die Todesrate der Arbeiter in Südasiens Abwrackwerften ist höher als in jeder anderen Branche. Das sagt der indische Forscher und Aktivist Gopal Krishna.
taz: Herr Krishna, Sie beklagen seit langem, unter welchen Bedingungen Reedereien ihre Schiffe in Pakistan, Indien und Bangladesch abwracken lassen. Weshalb?
Gopal Krishna: Dort herrschen „sklavenähnliche Bedingungen“ – so hat es der UN-Beauftragte genannt, mit dem ich zusammen die improvisierten Werften in Alang besucht habe. Das ist ja keine Industrie in dem Sinne, sondern es sind industrielle Strukturen, die ad hoc genutzt werden, wenn ein Schiff kommt.
Wer arbeitet dort?
Menschen, die aus extremer Armut in Nord- und Ostindien fliehen. Ich weiß von Leuten, die dort arbeiten, dass im letzten Monat vier Menschen bei Unfällen ums Leben gekommen sind, das ist die übliche Todesrate. Die ist höher als im Bergbau, der als die gefährlichste Branche gilt.
Eine offizielle Statistik gibt es nicht?
Statistik? Es gibt vor Ort noch nicht einmal ein Krankenhaus! Wenn Arbeiter sterben, werden ihre Pässe verbrannt, damit die Firmen keinen Schadensersatz zahlen müssten. Die Familien der Unfallopfer sind deshalb völlig mittellos, die haben nichts. Ich bin gerade zu einer Umweltschutztagung im Bundesstaat Orissa gefahren, in dem sich die „widow villages“ befinden, also Dörfer, in denen fast in jedem Haus Witwen leben.
36, Gründer der indischen Umweltschutz-Organisation Toxicswatch-Alliance. Er beschäftigt sich seit dem Jahr 2000 mit dem Thema Shipbreaking und hat mehrmals die Werften in Alang besucht, zuletzt im Februar 2012. Er forscht zu Umwelt- und Arbeitsgesundheit.
Wissen Sie, wie viele an Krankheiten sterben, die durch die Arbeit ausgelöst wurden?
Auch dazu gibt es keine Zahlen. Die indischen Behörden behaupten, dass nur 16 Prozent der Arbeiter Asbest ausgesetzt sind. Der Wissenschaftler, der das ermittelt haben soll, hat mir aber gesagt, dass das nicht stimme, die Quote würde bei 60 bis 65 Prozent liegen.
Ende Juli hat der Oberste Gerichtshof in Indien geurteilt, dass Schiffe, die gefährliche Materialien enthalten, nicht mehr einreisen dürfen. Bedeutet das das Ende des Shipbreaking in Indien – und eine Verlagerung in andere Länder?
Nein, zum einen hat es in Bangladesch eine ähnliche Entscheidung gegeben und der recyclte Stahl wird in Indien ja gebraucht. Im übrigen ist auch der Präsident der Shipbreaking Association in Indien dafür, dass die Schiffe erst einreisen dürfen, wenn die verseuchten Teile entfernt wurden. Aus dem einfachen Grund, weil sie dann die Kosten für die Dekontaminierung sparen. Die Halden für Sondermüll sind einfach voll.
Aber dann müssten viele Schiffe geschleppt werden, weil zu viele Teile ausgebaut würden, die sie für den Betrieb brauchen.
Das geschieht jetzt auch schon, das ist nicht das Problem. Es kann einfach nicht sein, dass diejenigen, die den Müll verursachen, ihn nicht selbst entsorgen, sondern sogar noch Geld damit verdienen.
Sie meinen die Europäer, denen 40 Prozent der weltweiten Flotte gehören?
Ja, das ist eine Doppelmoral. In Europa ist es verboten, Asbest zu verwenden, aber er wird in Südasien abgeladen. Ich nenne das Umwelt-Rassismus.
Die Europäische Kommission hat in diesem Jahr einen Vorschlag gemacht, wie sich das ändern lässt. Und es gibt die Selbstverpflichtung der Internationalen Seefahrtsorganisation, die Hong Kong Convention, die allerdings noch nicht in Kraft ist.
Und das ist gut so! So wie diese beiden Regelwerke jetzt verfasst sind, sind sie schwächer als das Basler Übereinkommen, auf dessen Grundlage die Northern Vitality gerade festgehalten wird. Das müssten die europäischen Länder eigentlich verbessern. Stattdessen knicken sie vor den Wirtschaftsinteressen der Anleger und der Seefahrtsindustrie ein.
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