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Archiv-Artikel

Abweichler und Einzelgänger

GETEILTE KUNST Eine große Schau in Berlin zeigt die unterschiedlichen künstlerischen Entwicklungen in den beiden deutschen Staaten nach 1945

VON RONALD BERG

Links oder rechts, Ost oder West, abstrakt oder realistisch? Schon am Anfang der chronologisch gegliederten Ausstellung über deutsche Kunst im Kalten Krieg müssen sich die Besucher entscheiden. In welche Richtung wollen sie gehen? Eine Wand verstellt den geraden Weg. Wie Embleme prangen darauf zwei Bilder: Willi Baumeisters „Urformen“ von 1946 und Curt Querners „Elternbild“ von 1948. Sie fungieren als Wegweiser und Sinnbild der zweigeteilten deutschen Kunstentwicklung. Noch vor Gründung der beiden deutschen Staaten steht die Frontlinie: im Westen Abstraktion, im Osten Realismus.

Stephanie Barron vom Los Angeles County Museum, die diese Ausstellung initiiert hat, spricht im Katalog von einer „komplexen Verbindung von Kunst und Ideologie“ und von einer „nuancenreichen Konstellation“. Zusammen mit dem Berliner Kunsthistoriker Eckhart Gillen war die Ausstellung mit leichten Varianten schon in Los Angeles und im Germanischen Nationalmuseum in Nürnberg zu sehen. Pünktlich zu 60 Jahre Bundesrepublik und 20 Jahre Mauerfall kommt diese illustrierte Kunstgeschichte des geteilten Deutschlands nun in die deutsche Hauptstadt. Rund 350 Werke von 127 Künstlern werden im Deutschen Historischen Museum aufgeboten. Malerei, Plastik, Grafik, Fotografie und Installationen sind dabei.

Ideologie versus Kunst

Der Schau scheint es vor allem um strukturelle Vergleichsmomente zwischen BRD- und DDR-Kunst zu gehen. Wurde die Kunst nicht von beiden Staaten ideologisch benutzt und instrumentalisiert? Für den Osten scheint das keine Frage. Der sozialistische Realismus war Staatsdoktrin. Das Konzept stammte aus der Sowjetunion und wurde pflichtgemäß von den DDR-Funktionären übernommen und den Künstlern diktiert. Aber auch die Staatsapparate der USA intervenierten über Stiftungen und Museen, finanzierten Kunstausstellungen, um abstrakte Kunst in Westdeutschland zum Vorbild freiheitlicher Gesinnung aufzubauen.

Erstaunlicherweise wird die ideologische Auseinandersetzung zwischen den beiden Blöcken in der Ausstellung nur kurz zum Thema. Nach den Wegmarken Baumeister und Querner ist der sozialistische Realismus in eine Koje verbannt und ward sonst in der Ausstellung nicht mehr gesehen. Vier Bilder zeigen hier die Konsequenzen aus der Formalismusdebatte der 50er-Jahre. Die erzwungene Rückbesinnung auf vormoderne Ausdrucksformen, auf Naturalismus und Klassizismus, sowie politisch korrekte Aussagen im Sinne der Partei- und Staatsführung. Pessimismus, Kritik und Zweideutigkeiten waren unerwünscht. Rudolf Berganders „Hausfriedenskomitee“ bei der Lektüre des Neuen Deutschlands sieht stilistisch der alten Nazi-Kunst ziemlich ähnlich. Kritisiert wurde das Bild damals von offizieller Seite aber nicht wegen des Malstils, sondern aus ideologischen Gründen: Wo bleibt bei dieser eher nachdenklichen Personenrunde die Führung der Partei, wo Begeisterung und Optimismus?

Stilismen als Ausweis von Ideologie und als Kampfinstrument im Kalten Krieg spielen in der Schau nur bis zum Mauerbau von 1961 eine Rolle. Danach lief die Entwicklung der Kunst weitgehend voneinander getrennt. Hinter der Mauer im Osten herrschte künstlerische Stagnation. Der Bitterfelder Weg ab 1959 als Variante des sozialistischen Realismus kommt in der Ausstellung nicht mehr vor.

In den Sechzigerjahren galt die Gleichung abstrakt = West und realistisch = Ost nicht mehr. In der Bundesrepublik entwickeln sich neue Kunstformen jenseits der klassischen Genres und Gattungsformen. Zero mit Material- und Lichtkunst, Fluxus mit Performance und Happening oder Minimal- und Konzeptkunst. Beuys ist in der Schau natürlich vertreten, auch Neokonstruktivisten wie Imi Knoebel oder Franz Erhard Walther mit seinem neuen Werkkonzepten, das den Betrachter durch Handlung mit einbeziehen will.

In fünf Kapiteln verknüpft die Schau Kunst und Geschichte. Geht es noch vor der Gründung der beiden deutschen Staaten um eine „Nationalisierung der Ästhetik“, so folgt in den Fünfzigerjahren ein „Streit um das Menschenbild“. In dieser Interpretation steht der individuelle Ausdruck des Künstlersubjekts dem Konstrukt eines sozialistischen „Helden der Zukunft“ entgegen. Die 68er-Generation im Westen sucht dann in den Sechzigern nach der Bewältigung des Traumas der NS-Vergangenheit. Das Thema hält sich bis in die Achtziger, in den Siebzigern kommt die Auseinandersetzung mit der RAF hinzu. Das „Schlachtfeld Deutschland“ wie es Katharina Sieverding 1978 mit dem Motiv der GSG 9 ins Bild setzt, lag für die Westler damals ausschließlich innerhalb der BRD.

Individuell und originell

Im Osten dagegen sind Abweichler und Einzelgänger interessant: Hermann Glöckner, Gerhard Altenbourg, Carlfriedrich Claus, hatten mit der offiziellen Kunst der DDR nichts zu tun. Wie Eremiten entwickelten sie privatistische Kunstformen. In gewisser Weise gehört auch A. R. Penck zu diesen Außenseitern. Viermal wurde er in der DDR mangels Talent fürs Kunststudium abgelehnt. Dabei hat auch Penck eine eigene, piktografische Bildsprache entwickelt. Vielen im Osten blieb außer innerer Emigration nur die Flucht in den Westen. Penck ging 1980. Georg Baselitz und Gerhard Richter übersiedelten schon in den Sechzigern. Solche biografischen Referenzen ersetzen die fehlende Beziehung zwischen Ost- und Westkunst seit dem Mauerbau. Im Grunde hat sich der Westen nicht für den Osten interessiert, und der Osten durfte nicht.

Mit Ausnahmen: 1984 porträtierte Hans Haacke den Aachener Schokoladenfabrikanten Peter Ludwig im Stile des sozialistischen Realismus mit Rührschüssel des VEB Süßwaren Dresden. Ludwig ließ im Niedriglohnland DDR produzieren, wovon seine Werbeplakate im Westen nichts verrieten. Zudem kaufte Ludwigs Ostkunst en gros, was ihm „drüben“ auch wirtschaftlich Türen öffnete. Durch den „Triumph“-Kapitalisten Ludwig und seine Museumsstiftungen wurde die Kunst von Willi Sitte, Werner Tübke und Wolfgang Mattheuer in den Achtzigern auch im Westen zur Kenntnis genommen.

Die Ausstellung zeigt die Achtziger als Jahrzehnt der Auflösung der großen Ideologien, als „Postmoderne“. Ironiker wie Martin Kippenberger illustrieren das damalige Gefühl zwischen „anything goes“ und „no future“. Im Osten zog sich die gut von der Stasi bewachte Boheme in gesellschaftliche Nischen zurück oder ging in den Westen.

Die Ausstellung schließt mit der Gegenüberstellung zweier Exzentriker, Johannes Grützke (West) und Werner Tübke (Ost). Ironischerweise arbeiteten beide im öffentlichen Auftrag an Rundbildern mit historischen Themen in figürlich-manieristischem Stil. Weder Grützkes „Zug der Volksvertreter“ in der Frankfurter Paulskirche noch Tübkes Bauernschlachtpanorama in Bad Frankenhausen sind künstlerisch verallgemeinerbar, jedoch vergleichbar. Ob Ost oder West, heute interessiert offenbar am stärksten dieses Individuelle, Autonome und Originelle.

Deutsches Historisches Museum, Berlin, 3. Oktober 2009 bis 10. Januar 2010. www.dhm.de