Abwasserreinigung auf dem Dach: Pflanzen sorgen für sauberes Wasser
Abwasser ohne Chemie klären, dabei das Klima schonen und Geld sparen. Was sich anhört wie eine Zukunftsvision, ist bereits Realität. Bald auch für Privathaushalte?
Hartmut Bauer mag es unkompliziert. "Entweder es funktioniert einfach oder es funktioniert nicht", lautet die Devise des Leiters der Mannheimer Umweltabteilung von John Deere, dem weltweit führenden Hersteller von Landwirtschaftsfahrzeugen. Nach diesem Prinzip funktioniert auch die von ihm entwickelte Pflanzenkläranlage, die auf dem Dach von Gebäude 21 des Traktorenwerkes beheimatet ist.
Auf 140 Quadratmetern klären dort ausgesuchte Pflanzen Industrieabwässer – ganz ohne chemische Zusätze und mit geringem Wartungsaufwand. Zehn Kubikmeter Abwasser werden derzeit pro Tag über die Pflanzenkläranlage gereinigt. Das sind rund sechs Prozent des gesamten Abwasseraufkommens bei John Deere und entspricht einer Wassermenge von etwa 70 vollen Badewannen.
Die Idee für die Anlage entstand schon 1998. Damals war Bauer auch für die Bewertung von Vorschlägen aus dem Unternehmen. Unter 6.000 Anregungen der Mitarbeiter gab es eine, die ihn besonders interessierte: "Was passiert eigentlich mit unserem Abwasser, kann man da nicht was mit Pflanzen machen?" Bauer kam ins Grübeln: "Biologische Pflanzenkläranlagen gibt es im Grunde ja schon, nur die benötigen viel Platz. Den haben wir hier aber nicht." Dafür gibt es auf dem Mannheimer Firmengelände die zahlreichen flachen Dächer der Industriehallen, in denen die Traktoren produziert werden. Die brachten Bauer auf die Idee, eine Dachpflanzenkläranlage zu entwickeln.
Das verunreinigte Wasser aus der Traktoren-Lackierhalle wird vorgefiltert und gemeinsam mit sanitärem Abwasser einer angeschlossenen Toilette auf das Dach geleitet. Das Abwasser fließt dort serpentinenförmig durch die Anlage und durchläuft schrittweise den Reinigungsprozess. Schließlich leitet ein Rohr das gereinigte Wasser vom Dach hinunter, das dann im Boden versickert.
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In der Pflanzenkläranlage schwimmen Lilien-, Schilf- und Binsengewächse im seichten Wasser. Die Reinigung erfolgt durch Mikroorganismen, die sich im dichten Wurzelgeflecht der Pflanzen bilden. Diese Pilze, Bakterien und Algen absorbieren und zersetzen den Schmutz. Insgesamt kommen sieben verschiedene Pflanzenarten zum Einsatz, jede ist für einen bestimmten Reinigungsschritt zuständig.
"Grundsätzlich ein guter Gedanke", findet auch Werner Kristeller. Seit fünf Jahren ist der Bauingenieur technischer Leiter der städtischen Abwasserentsorgung in Frankfurt am Main und kümmert sich um die Behandlung des Abwassers, das in den Frankfurter Kläranlagen landet. "Pflanzenkläranlagen säubern das Wasser ebenso gut wie klassische Kläranlagen, wenn die Rahmenbedingungen stimmen", sagt Kristeller. Auch bei der Abwasserreinigung in Frankfurt kommen biologische Komponenten zum Einsatz.
Pflanzen säubern die Luft
Hartmut Bauer begann sein Projekt in Mannheim 1999 mit ersten Tests auf einem der Industriegebäude mit Flachdach – zunächst auf einer Fläche von zwei Quadratmetern. Dafür benötigte er Pflanzen mit gewissen Eigenschaften. "Sie müssen in der Lage sein, Temperaturen von minus 20 Grad bis 60 Grad plus auszuhalten, um das ganze Jahr über leistungsfähig zu sein", erklärt Bauer. Angebracht auf einem Dach, dürfen sie zudem nicht zu schwer sein. So suchte Bauer nach Pflanzen, die auf ihren eigenen Wurzeln im Wasser stehen können und ohne Erde auskommen.
Passende Pflanzen ließen sich nach einigen Versuchen finden, die chemielose Wasserreinigung konnte beginnen. Doch das ist längst nicht alles. Die Pflanzen nehmen CO2 auf und reduzieren den Feinstaub. "Sie säubern also auch die Luft", sagt Bauer. Zusätzlich böten die Pflanzen auf dem Dach Isolierschutz. Im Sommer sei es darunter um einige Grad kälter, im Winter etwas wärmer. Und die Umweltverträglichkeit wird anerkannt. 2002 erhielt die Anlage den Umweltpreis des Landes Baden-Württemberg. Stolz zeigt Bauer die Plakette, die gut sichtbar am Eingang der Firmenmensa hängt.
Günstiger als herkömmliche Klärung
Der Aspekt der ökologischen Abwasserreinigung alleine reichte damals jedoch noch nicht aus, um die Geschäftsleitung von John Deere von dem Projekt zu überzeugen. "Denn warum sollte man so etwas machen, wenn das Geld sowieso schon knapp ist?" Doch Bauer, der nach seinem Ingenieurstudium noch den Betriebswirt obendrauf setzte, hat auch das einkalkuliert. Bis um die Hälfte billiger als eine herkömmliche, chemische Klärung sei die Pflanzenanlage: Anschaffungs- und Wartungskosten seien geringer und am Ende lasse sich ein Teil der Abwassergebühr einsparen. Auch das bestätigt der Frankfurter Abwasserexperte Werner Kristeller. Das ökologisch geklärte Wasser gilt nämlich nach den strengen deutschen Richtlinien als gereinigt. So kann es beispielsweise zur Bewässerung von Feldern oder für die Toilettenspülung wiederverwendet werden. Nur trinkwassertauglich ist es noch nicht, aber auch daran wird weiter getüftelt.
Die ungewöhnliche Pflanzenkläranlage ist heute eine kleine Sensation. Immer mehr Besucher kommen nach Mannheim, um sie zu begutachten: Ingenieure, Journalisten und andere Interessierte – so beispielsweise auch Ludwig Brünner. Der 83-Jährige ist ehrenamtlicher Mitarbeiter der Benediktinerabtei Münsterschwarzach und betreut derzeit ein Projekt in Tansania. Dort soll eine neu errichtete Schule eine Pflanzenkläranlage erhalten. Er ist bei John Deere, um Informationen zu sammeln.
Abwasserentsorgung der Zukunft?
Auch für Privathaushalte kann sich Bauer künftig Dachpflanzenkläranlagen vorstellen. "2016 hat jeder so eine auf dem Dach", ist er überzeugt. Nach Berechnungen Bauers benötigt man pro Person lediglich eine Fläche von durchschnittlich vier Quadratmetern an Pflanzen. Doch nicht jeder teilt seinen Optimismus. Werner Kristeller ist da eher skeptisch. In ländlichen Gebieten, wo keine Abwassersysteme vorhanden sind, könne er sich Pflanzenkläranlagen zwar durchaus vorstellen, eine Dezentralisierung in Ballungsräumen ist seiner Ansicht nach dagegen nicht erstrebenswert. "Denn das zentral kanalisierte Abwassersystem ist ja eine der fortschrittlichen Errungenschaften unserer Zeit."
Hartmut Bauer sieht das anders. Mit seiner Pflanzenkläranlage ließe sich schließlich einiges an Wasser und damit auch Geld einsparen. Für den Aufbau benötige man zudem noch nicht einmal ein Flachdach. "So eine Anlage kann auch in Kaskadenform auf jedes Giebeldach gebaut werden", sagt Bauer. Das Gewicht der Pflanzen sei dabei kein Problem. Die Anlage werde an die ausgewiesene Traglast eines Daches angepasst. Damit bleibt allerdings wenig Spielraum für zusätzlichen Schnee im Winter, doch dieser schmelze im Wasser der Pflanzen. Bei extremer Kälte müsse notfalls warmes Wasser zugeführt oder die Anlage beheizt werden. In Mannheim übernimmt das eine Photovoltaikanlage, die Bauer extra dafür aufgebaut hat.
Es ist also durchaus vorstellbar, dass solche Pflanzenkläranlagen in naher Zukunft auch auf den Dächern von Privathäusern stehen - wenn vielleicht auch eher in ländlichen Gebieten. Hartmut Bauer hat sich das Prinzip vorsorglich patentieren lassen. Er hat noch einiges vor: Vorerst will er den Prototyp bei John Deere in Mannheim optimieren und vervielfältigen – so weit, bis dort keine Abwassergebühr mehr anfalle. Und auch in Tansania kommt das Prinzip wohl demnächst zur Anwendung. Benediktiner Brünner nahm am Ende seines Besuchs bereits einige Pflanzenproben für sein Projekt mit.
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