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Abtreibungen in BrandenburgIllegal, legal, und was ist mit der Moral?

Kommentar von Lilly Schröder

Die Stettiner Staatsanwaltschaft wirft zwei in Brandenburg praktizierenden Ärzten Beihilfe zur Abtreibung in Polen vor. Das Ziel: Einschüchterung.

Wut in Warschau: Demonstration für die Legalisierung von Abtreibungen im Juli Foto: IMAGO / NurPhoto

D as mit dem Gesetz und der Moral ist so eine Sache: Nicht alles was legal ist, ist auch moralisch, und nicht alles was illegal ist, ist unmoralisch. Die Rechtsprechung sollte eigentlich die Moralvorstellungen der Öffentlichkeit widerspiegeln, doch darin versagt sie häufig – auf Kosten mutiger Einzelpersonen. Besonders deutlich wird das an den Abtreibungsgesetzen, sowohl in Polen als auch in Deutschland.

Zu den Betroffenen zählen der Deutschpole Janusz Rudzinski und die Polin Maria Kubisa. Die zwei Gy­nä­ko­lo­g*in­nen mit Sitz in der Uckermark stehen derzeit im Visier der Stettiner Staatsanwaltschaft. Rudzinski wird Beihilfe zur Abtreibung vorgeworfen, auf welcher Beweisgrundlage, ist bislang unklar. Kubisa werden sechs Fälle vorgeworfen, in denen sie während der Corona-Pandemie Schwangerschaftsabbrüche in Polen durchgeführt haben soll. Am Donnerstag begann am Amtsgericht Stettin in Polen das Verfahren gegen die Leiterin der Gynäkologie im Krankenhaus Prenzlau.

Die Rechtslage ist kompliziert: Rudzinski berät aus Schwedt an der Oder telefonisch polnische Patientinnen und vermittelt ihnen Termine im Krankenhaus Prenzlau. Nach polnischem Recht gilt das bereits als Beihilfe zum Schwangerschaftsabbruch. Nach deutschem Recht ist das legal. Auch Kubisas Tätigkeit am Krankenhaus in Prenzlau ist legal.

In Deutschland ist die Abtreibung zwar grundsätzlich rechtswidrig, bleibt aber unter bestimmten Bedingungen bis zur 12. Schwangerschaftswoche straffrei. Die Polin betreibt jedoch eine weitere Praxis in Stettin, wo Abtreibungen nur in Ausnahmefällen erlaubt sind: bei Inzest, Vergewaltigung oder wenn die Frau in Lebensgefahr ist.

Die Grundlage, auf der die Stettiner Staatsanwaltschaft die Ärz­t*in­nen strafrechtlich verfolgt, wirkt wackelig: Nach eigenen Angaben führte Kubisa in ihrer Stettiner Praxis zum Zeitpunkt der mutmaßlichen Vorfälle gar keine Schwangerschaftsabbrüche durch. Seit 2020 behandele sie dort generell keine Schwangeren mehr und verfüge auch nicht über die erforderlichen medizinischen Geräte, sagte sie der Welt. Ihr Rechtsanwalt teilte am Donnerstag mit: „Meine Mandantin bekennt sich nicht schuldig, da sie die ihr zur Last gelegten Handlungen nicht begangen hat.“

Einschüchterung durch Hausdurchsuchungen

Das erscheint glaubwürdig, da auch bei keiner der 5 Razzien, die die Gynäkologin in den vergangenen Jahren über sich ergehen lassen musste, entsprechende Instrumente gefunden wurden. Zuletzt stürmten im Januar dieses Jahres sechs Beamte der Sonderbehörde zur Korruptionsbekämpfung ihre Praxis und beschlagnahmten 6.000 Patient*innenakten. Das Ziel: Einschüchterung.

Erst Monate nach dem Vorfall, als ihr Anwalt Beschwerde gegen das Vorgehen der Staatsanwaltschaft einreichte, erhielt Kubisa die Akten zurück. Danach entschied das Gericht, dass die Durchsuchung nicht verhältnismäßig und die Mitnahme der Krankenakten aller Pa­ti­en­t*in­nen unzulässig war.

Ebenso rechtlich bedenklich ist Kubisas derzeitige strafrechtliche Verfolgung sowie die von Janusz Rudzinski. Denn nachdem Ministerpräsident Tusk mit seinem Gesetzesentwurf zur Liberalisierung der Abtreibungsgesetze im Parlament scheiterte, wies der Justizminister die Staatsanwaltschaften an, keine Verfahren gegen abtreibende Ärztinnen mehr einzuleiten. Das Problem? Die Staatsanwaltschaften sind noch immer mit erzkonservativen Ju­ris­t*in­nen besetzt, die unter der PiS-Regierung ernannt wurden und nun ihre Machtpositionen nutzen, um abtreibende Ärz­t*in­nen unter Druck zu setzen.

Die Gesetze, die sie vehement verteidigen, sind lebensbedrohlich. Seit 2020 sind in Polen mindestens sechs schwangere Frauen gestorben, weil eine ihnen zustehende Abtreibung verweigert wurde. Weder Po­li­ti­ke­r*in­nen noch Verfassungsrechtler oder Ärz­t*in­nen wurden dafür je zur Verantwortung gezogen.

Die Einschüchterungstaktiken der PiS-nahen konservativen Staatsanwälte sind in Polen bereits rechtswidrig und verwerflich. Doch mit der justiziellen Verfolgung von in Deutschland praktizierenden Ärz­t*in­nen erreicht die Stettiner Staatsanwaltschaft einen neuen Tiefpunkt der Perversion. Während sie in ihrem Land bereits Frauen sterben lassen, versuchen sie nun mit vorgeschobenen Fällen aus Polen als Anklagegrundlage, Ärz­t*in­nen auch über die eigenen Landesgrenzen hinaus einzuschüchtern und davon abzuhalten, Abtreibungen durchzuführen.

Auch deutsche Gesetze beschneiden die Freiheit

Damit handelt es sich um polnisches Rechtsgebiet, der deutschen Justiz lässt das kaum Handlungsspielraum. Doch selbst wenn Fälle auf deutschem Boden zur Anklage kämen, bleibt offen, wie stark die deutsche Justiz einschreiten würde. Denn auch hierzulande ist das Abtreibungsrecht alles andere als fortschrittlich, und der Zugang zu sicheren Abtreibungen ist nach wie vor stark eingeschränkt.

Die Rechtsprechung wird auch ihrer Aufgabe, gesellschaftliche Moralvorstellungen widerzuspiegeln, nicht gerecht. Eine repräsentative Umfrage, die im Auftrag des Bundesfrauenministeriums (BMFSFJ) im April durchgeführt wurde, zeigt, dass 80 Prozent der Bevölkerung die Rechtswidrigkeit von Schwangerschaftsabbrüchen für falsch halten. Deutsche Po­li­ti­ke­r*in­nen und Ver­tre­te­r*in­nen der Justiz zeigten sich weitgehend unbekümmert, passiert ist seitdem nichts.

Der Fall der Gy­nä­ko­lo­g*in­nen Kubisa und Rudzinski verdeutlicht, was geschehen kann, wenn Moral und Recht so stark divergieren: Menschen, die aus ethischen Überzeugungen handeln und durch ihr Engagement sogar Leben retten, werden verschmäht, eingeschüchtert und verfolgt. Im schlimmsten Fall droht Kubisa eine Haftstrafe von bis zu drei Jahren.

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Redakteurin für Feminismus & Gesellschaft im Berlin-Ressort Schreibt über intersektionalen Feminismus, Popkultur und gesellschaftliche Themen in Berlin. Studium der Soziologie und Politik.
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