Absturz der HSH Nordbank: Simonis und die smarten Jungs
Das Beispiel der ehemaligen Kieler Ministerpräsidentin und Bank-Aufsichtsrätin Heide Simonis zeigt, wie schwer es war, dem neoliberalen Zeitgeist zu widerstehen
HAMBURG taz | Es muss ein denkwürdiger Tag im Leben von Heide Simonis gewesen sein. Im Gästehaus der Landesregierung sah sie sich plötzlich mit zwei gegelten jungen Herren einer Rating-Agentur konfrontiert. "Die hatten mich vor nie besucht", erinnert sich die damalige Ministerpräsidentin. Dafür scheinen sie ein umso mehr Wind gemacht zu haben. Mit viel englischem Kauderwelsch bogen sie der SPD-Politikerin bei, was sie von ihrer Landesbank erwarteten: Mehr Mut bei den komplizierten und riskanten Geschäften, die in der Finanzwelt des vergangenen Jahrzehnts en vogue waren.
Das klingt paradox, das weiß auch Simonis, die diese Szene vor den parlamentarischen Untersuchungsausschüssen in Hamburg und Schleswig-Holstein sowie in ihrem kürzlich erschienenen Buch "Abgezockt" beschrieben hat. Denn die Rating-Agenturen wie Moody's oder Standard & Poor's wollen Risiko gerade minimieren, indem sie die Kreditwürdigkeit von Unternehmen einschätzen: Ein exzellenter Schuldner kriegt AAA, oder "Triple-A" wie es im Fachchinesisch heißt. Ist die Wahrscheinlichkeit, dass er geliehenes Geld schuldig bleibt, größer, sind es nur noch zwei A bis hinunter zu bbb - je nach Bewertungssystem der Agenturen.
Simonis Aussagen und Beschreibungen erhellen, wie es dazu kommen konnte, dass sich die ehemaligen Landesbanken auf den internationalen Kapitalmärkten so fatal verspekuliert haben. Die Szene mit den Leuten von der Rating-Agentur wirft ein Schlaglicht darauf: Die "jünglingshaften Exekutoren der Finanzwelt" hätten ihr mit ihrem Glauben an die eigene Unfehlbarkeit eine "Lehrstunde fürs Leben" gegeben.
2003 sind die Landesbanken Hamburgs und Schleswig-Holsteins zur HSH Nordbank verschmolzen worden. Bei dieser ersten länderübergreifenden Fusion entstand ein Institut mit 4.500 MitarbeiterInnen. 2006 erwarben private Investoren unter J.C. Flowers gut ein Viertel der Bank.
Fette Rendite: Die Nordbank galt als Erfolgsmodell. Bis 2007 zahlte sie an ihre Anteilseigner fast 1,3 Milliarden Euro Zinsen und Dividenden. 2008 sollte sie an die Börse gehen.
Der Absturz: Schon 2007 musste die Bank im Kreditersatzgeschäft 1,3 Milliarden Euro abschreiben, machte aber trotzdem noch Gewinn. 2008 verlor sie 2,8 Milliarden Euro, im vergangenen Jahr verlor sie 680 Millionen.
Für die Landesbanken Hamburgs und Schleswig-Holsteins hafteten die beiden Länder, weshalb die Banken als extrem kreditwürdig galten. Auf Geheiß der EU sollte diese Gewährträgerhaftung wegfallen, weshalb die Landesbanken 2003 fusionierten und private Anleger hereinholten. Obwohl die Haftung erst allmählich auslief, hätten sich die Agenturen geweigert, erneut ein Triple-A zu vergeben. "Sie hatten eine Vorstellung davon, wie eine Bank, die nicht mehr in öffentlichem Besitz ist, geführt werden muss", erinnert sich Simonis. Dazu habe gehört, dass sich die Bank an die komplizierten, aber enorm renditeträchtigen Produkte des internationalen Kapitalmarkts herantraue.
"Für die Agenturen waren das keine schwierigen Geschäfte", sagt Simonis. Für viele Mitarbeiter der ehemaligen Landesbanken schon. Die meisten hatten sich mit der Finanzierung mittelständischer Firmen beschäftigt, wenn es hoch kam mit Schiffsfinanzierungen - alles handfeste, überschaubare Geschäfte. Einige von ihnen waren sogar Beamte. Jetzt wurde von ihnen verlangt, ins Kreditersatzgeschäft einzusteigen, Finanzprodukte einzuschätzen, in denen Schuldverschreibungen gebündelt waren, die wiederum andere Schulden verbrieften.
Simonis war anscheinend unwohl bei diesen Veränderungen - schon weil ihr, wie sie zugibt, die englischen Begriffe, mit denen diese Geschäfte beschrieben werden, wie böhmische Dörfer vorkamen. Trotzdem spielte sie mit. Schließlich wollten sich die Schleswig-Holsteiner nicht weiter vorwerfen lassen, Angst vor der weiten Welt zu haben. "Es war ja nicht verboten, sich dieser neuen Produkte zu bedienen", schreibt sie - zumal sie als narrensicher beworben wurden und enorme Renditen versprachen.
Die gelernte Volkswirtin machte sich auch keine großen Gedanken darüber, dass bei der Fusion beschlossen wurde, die Eigenkapitalrendite um mehr als 50 Prozent zu steigern. Da habe das Wort des Vorstands gegolten, der das für realistisch erklärt habe, sagt Simonis. Hätte sie gewusst, dass das nur durch Ausweitung der riskanten Verbriefungsgeschäfte möglich gewesen sei, wäre sei eingeschritten: "Dann hätte es aber ein Donnerwetter gegeben.".
Bis zu ihrer Abwahl 2005 saß Simonis dem Aufsichtsrat der HSH Nordbank vor. Im Aktiengesetz heißt es dazu schlicht: "Der Aufsichtsrat hat die Geschäftsführung zu überwachen." Der Aufsichtsrat müsse "auf Grundlage angemessener Information" handeln. Er solle mit gesundem Menschenverstand beurteilen, ob die Strategie eines Unternehmens sinnvoll sei, sagt Simonis. Ob das reicht?
Als Aufsichtsratschefin hat sie sich, wie sie einräumt, auf die Testate der Wirtschaftsprüfer verlassen, auf die Unternehmer und Ökonomen im Aufsichtsrat - nicht zuletzt auf ihren Hamburger Kollegen, den ehemaligen Finanzsenator Wolfgang Peiner. Sie sei mehr nach außen hin aufgetreten, Peiner, der aus der Wirtschaft kam, habe sich um das Fachliche gekümmert.
Die landeseigene Beteiligungsverwaltung spielte offenbar keine Rolle. Simonis bescheinigt ihr hohe Kompetenz, sie will auch Fragen an die Experten weitergereicht haben. Das änderte aber nichts an ihrer Grundhaltung und auch nicht daran, dass sie sich mit dem neuen Geschäftsmodell überfordert fühlte. Vom Vorstand der Bank habe sie sich gut informiert gefühlt. Sie sah keinen Grund, dessen Informationen zu misstrauen: "Ich weiß nicht, wie ein Aufsichtsrat es begründen soll, dass er seinem Vorstand nicht glaubt", sagt sie.
Abweichende Meinungen von Vorstandsmitgliedern habe sie bewusst ausgeblendet - Kritikern im Unternehmen unterstellte sie, dass sie Streitereien ausfechten wollten, die aus der schwierigen Zusammenlegung der beiden Landesbanken entstanden waren.
"Die schleswig-holsteinischen Mitarbeiter", sagt Simonis, "haben mir schon bei der Gründung der Investitionsbank das Leben schwer gemacht."
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Weil sie weiblich sind
Verein „Hand in Hand für unser Land“
Wenig Menschen und Traktoren bei Rechtspopulisten-Demo
Scholz und Pistorius
Journalismus oder Pferdewette?
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen