Abstimmung: Ahlhaus ganz oben
Der neue Bürgermeister Christoph Ahlhaus ist gewählt - mit zwei zusätzlichen Stimmen aus der Opposition. Doch das Regieren wird für ihn nicht leicht werden.
Zwei Stimmen zu viel waren es am Ende. Christoph Ahlhaus (CDU) wurde am Mittwochnachmittag zum Bürgermeister in Hamburg gewählt. In geheimer Abstimmung in der Bürgerschaft erhielt der 40-Jährige 70 von 121 Stimmen, was vor allem von der CDU mit großem Jubel bedacht wurde. Denn die schwarz-grüne Koalition verfügt über lediglich 68 Mandate. Zwei Abgeordnete der Opposition müssen für Ahlhaus votiert haben.
Abweichendes Stimmverhalten hat Tradition in der Hamburger Politik. Vorgänger Ole von Beust, der die Abstimmung aus einer Loge im Plenarsaal verfolgte, hatte 2004 eine überzählige Stimme erhalten. 2001 und 2008 fehlten ihm jeweils zwei.
Im Anschluss wurde der neue Senat vom Parlament mit lediglich 64 Ja-Stimmen bei 56 Nein und einer Enthaltung bestätigt. Hier müssen vier Abgeordnete von CDU und GAL die Gefolgschaft verweigert haben, was die Euphorie auf Seiten der Koalition sofort wieder dämpfte. Nachfolger von Kultursenatorin Karin von Welck (parteilos) und Wirtschaftssenator Axel Gedaschko (CDU), die beide freiwillig ausscheiden, sind Reinhard Stuth (CDU) und Ian Karan (parteilos). Das Innenressort von Ahlhaus übernimmt Verfassungsschutzchef Heino Vahldieck (CDU).
Für Ahlhaus geht es nun, wie er der taz sagte, "um die Reifeprüfung für Schwarz-Grün". Die Koalition in Hamburg müsse den Beleg erbringen, dass sie nicht an der Person Ole von Beust hänge, sondern "ein stabiles Politikmodell" sei. Unter seiner Führung als neuer Regierungschef müssten CDU und GAL in den restlichen 18 Monaten der Legislaturperiode "beweisen, dass wir es können".
Und das dürfte nicht leicht werden, denn zu allererst wird gespart. 500 Millionen Euro jährlich weniger auszugeben lautet die Zielmarke, die noch sein Amtsvorgänger Ole von Beust zusammen mit Finanzsenator Carsten Frigge (CDU) im Mai ausgegeben hatte. Beraten wurde seitdem viel, zuletzt am Dienstag, Beschlüsse des Senats sind erst für Oktober zu erwarten. In der Bürgerschaft soll der Doppelhaushalt für 2011 und 2012 erst im März nächsten Jahres beschlossen werden, mit drei Monaten Verspätung.
Haushaltswirksame Baustellen gibt es reichlich. Die Infrastruktur im Hafen muss weiter ausgebaut werden, rasche Sanierung maroder Straßen mahnen ADAC wie Handelskammer an, 50 oder mehr Kilometer Radwege fordern Umweltgruppen. Dann noch die Kitas, die Kultur und die Kriminalitätsbekämpfung, das Soziale und die Schulen. Sämtliche Klima- und Umweltprogramme stehen natürlich unter Artenschutz, um den grünen Partner nicht zu verprellen.
Ahlhaus musste sich mehrfach zum CDU-Kurs der liberalen Großstadtpartei und "zu jedem Punkt und jedem Komma im Koalitionsvertrag" bekennen, um sein Image als konservativer Hardliner zu entkräften. "Ein konservatives Profil ist nicht meine Ziellinie", erklärte er. Vielmehr müsse die "Leitidee von Schwarz-Grün die Versöhnung von Ökonomie und Ökologie" sein.
Die höchste Hürde hatte er vor einer Woche bei seinem Auftritt vor der GAL-Basis genommen. "Tapfer geschlagen" habe er sich, befand anschließend deren Faktionschef Jens Kerstan. Bei dem "Abend unter Freunden", so Ahlhaus vorher, war nach drei Stunden hinter verschlossenen Türen die Richtung klar. Sozialer Wohnungsbau, Stadtbahn, CSD, Schanzenfest - alles kein Problem mit einem Bürgermeister Ahlhaus.
Mit mehr als 80-prozentiger Zustimmung hatte ein GAL-Parteitag am Sonntag die Fortsetzung der Koalition mit der CDU gebilligt. Die hatte Ahlhaus tags zuvor einstimmig als Kandidaten für das Amt des Bürgermeisters nominiert.
Große Unsicherheit herrscht unter den Beteiligten in der Frage der Restlaufzeit von Schwarz-Grün. Dass der Senat bis zum regulären Wahltermin im Februar 2012 durchhält, gilt unter Grünen nicht als ausgemacht. GAL-Fraktionsvize Antje Möller hat bereits klargestellt, dass die CDU das mit der GAL Vereinbarte umsetzen müsse: "Wenn nicht, reden wir über das Ende der Koalition."
Zweifelhaft ist zudem, dass es nach der Neuwahl wieder für Schwarz-Grün reicht. In den momentanen Umfragen liegt die SPD weit vor der CDU, für Rot-Grün wäre am nächsten Sonntag eine Mehrheit sicher. Hamburgs SPD-Chef Olaf Scholz sagte vorige Woche im taz-Interview, am liebsten wäre ihm ein "von SPD und Grünen getragener Senat".
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