■ Abstimmung über die Länderfusion Berlin-Brandenburg: Das Prinzip Hoffnung
Mit der gestrigen Verabschiedung des Fusionsvertrags in den Länderparlamenten von Berlin und Brandenburg ist das psychologisch wichtige Fundament für die Kampagne der Befürworter gelegt. Ähnlich wie bei der Hauptstadtentscheidung des Bundestages für Berlin wurde dafür das Prinzip Hoffnung bemüht. Preußisch-märkisches Boomländle, Regulativ gegen die am Stadtrand der Hauptstadt wuchernde Zersiedlung – je nach politischem Koordinatensystem wurde geworben, als ginge es um eine schöne Hochglanzbroschüre. Substantiell ist mehr in der Tat auch nicht vorhanden. Wenn schon zwei Stadthälften wie Ost- und Westberlin kaum Gemeinsamkeiten finden – wie soll es sie da zwischen zwei Ländern geben, deren Bevölkerungen lieber in fernen Welten Urlaub machen, als sich gegenseitig auf die Nerven zu fallen? Grenzüberschreitender Beschwörungsleim taugt nicht, die unangenehmen Fakten zu verkleistern.
Denn bei näherer Betrachtung ist es gerade der jetzt verabschiedete Staatsvertrag selbst, der den Fusionsgegnern eine Unmenge Argumente in die Hand gibt. Die Zahl der Hochschulen, die Aufgabenverteilung zwischen dem gemeinsamen Land und der dann kreisfreien Stadt Berlin und der notwendige Personalabbau sind nur einige Punkte, die in Verhandlungen erst noch konkretisiert werden müssen. Vorausgesetzt, der Staatsvertrag wird im Mai nächsten Jahres von den Bevölkerungen beider Länder abgesegnet.
Die Kritiker haben es aber nur auf den ersten Blick leichter. Zwar liegen die ungedeckten Schecks der Fusion offen vor. Das eigentliche Problem ist jedoch nicht, wie ein ohnehin bürokratisch-komplizierter Sachverhalt vermittelt werden soll, dessen juristische und finanztechnische Regelungen an der Mehrheit der Bevölkerung vorbeirauscht wie einst die Kernpunkte des Einigungsvertrags zwischen der Bundesrepublik und der DDR. Den Fusionsgegnern mangelt es an einer realen Alternative. Daß ohne die Länderehe der Status quo erhalten werden könnte, wird tagtäglich widerlegt. Schon heute siedelt sich mehr Industrie vor als in Berlin an, zerstören widersinnige kommunale Bauprojekte die Brandenburger Landschaft.
Was die Gegner zusammenführt, ist die Abwehr des Neuen. Im Tonfall ähneln sie manchen Befürwortern. So optimistisch, wie diese das Projekt feiern, so überzogen pessimistisch ist ihre Reaktion. Das stereotype Argument, bei der Fusion würden die Interessen der einen oder anderen Seite unter den Tisch fallen, ist ohnehin nur populistisch. Gemeinsame Identitäten gibt es zwischen Cottbus und Potsdam genauso wenig wie zwischen dem Berliner Westbezirk Kreuzberg und dem östlichen Marzahn. Severin Weiland
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