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Abschluss des SPD-BundesparteitagsSteinbrück zurück auf Los

Die SPD bewegt sich auf ihrem Bundesparteitag nur moderat nach links. Peer Steinbrück war trotzdem nicht der Gewinner der Veranstaltung – im Gegenteil.

Nur verhaltener Applaus für Steinbrück: Den Nerv des Parteitags hat er nicht getroffen. Bild: dpa

BERLIN taz | Der Mann, der vor dem Bundesparteitag schon als der sichere Kanzlerkandidat der SPD galt, hebt die Arme neben den Kopf und gestikuliert wild. Es sieht ein bisschen aus, als würde Peer Steinbrück gleich vom Podium auf dem SPD-Parteitag davonfliegen wollen. Seine Hände flattern. "Ohne das Primat der Politik", ruft er, "wird es keine gerechte Gesellschaft geben." Er gibt alles, aber der Applaus bleibt ein flaches Rauschen.

Am Ende der Rede erheben sich die Delegierten mühsam aus ihren Stühlen. Es scheint, als hätte der gesamte Parteitag plötzlich ein Rückenleiden.

Steinbrück, zu Zeiten der Großen Koalition bis 2009 Bundesfinanzminister, hat sich nicht verstellt. So wie mancher Abgeordnete nach der Rede zur Steuer- und Finanzpolitik kann man es natürlich auch sehen. Er ist nicht prinzipiell gegen Leiharbeit, sagt Steinbrück. Er sieht die SPD als Dienstleister für den Mittelstand und lobt die Agenda 2010. Den Nerv des Parteitags trifft er damit nicht. Im Rennen um die Kanzlerkandidatur hat er an Boden verloren, vor allem gegenüber Sigmar Gabriel. Auch wenn es offiziell natürlich nicht um die Kandidatur ging.

Die Beschlüsse

Steuern/Finanzen: Der Spitzensteuersatz soll von 42 auf 49 Prozent steigen, ab einem Einkommen von 100.000 Euro für Ledige und 200.000 Euro für Verheiratete. Die Vermögensteuer soll kommen.

Direkte Demokratie: Die SPD plädiert für Volksentscheide auf Bundesebene.

Bildung: Investitionen sollen um 20 Milliarden Euro pro Jahr erhöht werden.

Rente: Die SPD will den 2012 beginnenden Einstieg in die Rente mit 67 aussetzen.

Gesundheit: Die Bürgerversicherung soll die unterschiedliche Versorgung von gesetzlich und privat Versicherten beenden.

Gabriel nutzte sein Heimspiel

Die Parteitagsregie des SPD-Chefs Gabriel ist damit aufgegangen. Er hatte am Montag bei seinem Auftritt die größte Aufmerksamkeit, während Steinbrück am Dienstag vor verkaterten Genossen sprechen musste, denn am Vorabend wurde bis in die Morgenstunden gefeiert. Und Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier blieb am Sonntag nur der Platz als zweiter Europa-Redner hinter Helmut Schmidt. Auch nicht dankbar.

Gabriel hat sein Heimspiel genutzt, er hat seine Stärke, die Parteitagsrede, voll ausgespielt. Er hat die Delegierten begeistert und mit 91,6 Prozent der Stimmen ein beachtliches Ergebnis eingefahren. Als am Dienstag dann auch noch die kritischen Themen Steuer- und Rentenpolitik ohne größere Überraschungen beschlossen waren, wurde Gabriel beim anschließenden Pressestatement geradezu euphorisch: "Alle Kommentare, die Sie geschrieben haben, stimmen", rief er der Presse entgegen. "Ich bin einfach zu gut gelaunt." Das klang auch schon mal anders.

Es hätte schließlich auch schiefgehen können - zumindest aus der Sicht des Chefs. Mehrfach musste Gabriel selber ans Rednerpult, um Korrekturen der Parteilinken bei den Themen Rente und Steuern zu verhindern, auch die Parteireform schien kurz auf der Kippe zu stehen.

Durchgesetzt hat sich die Linke aber nur in einem Bereich: bei der Abgeltungssteuer. Die pauschale Besteuerung von Kapitalerträgen soll von 25 Prozent auf 32 Prozent angehoben werden. Zudem wird überprüft, ob mit einer vollständigen Abschaffung der Steuer noch mehr Geld eingenommen werden könnte. Nach drei Jahren könnte die Abgeltungssteuer dann ganz abgeschafft werden.

Nur einer fehlt am Ende

Aber nicht nur Gabriel war beschwingt von der ungewohnten SPD-Harmonie. Denn die heimliche Siegerin des Parteitags heißt Hannelore Kraft. Mit 97,2 Prozent hat die nordrhein-westfälische Ministerpräsidentin das mit Abstand beste Ergebnis in der Parteispitze bekommen. An manchem Getränkestand am Veranstaltungsort "Station" wurde sie schon zu einer möglichen weiteren Kandidatin für die Kanzlerkandidatur ausgerufen.

Und obwohl Kraft auf dem Parteitag selbst nicht übermäßig in Erscheinung trat, zog sie hinter den Kulissen in wichtigen Fragen die Strippen: Der mühsame Kompromiss in der Rente vom Montagabend, bei dem der Parteilinke Ottmar Schreiner die geplante Absenkung des Rentenniveaus verhindern wollte, kam aus ihrem Landesverband. Krafts Generalsekretär Michael Groschek hatte ihn ausgehandelt. Durchgekämpft wurde er in den Stunden vor dem Parteiabend.

Zum Abschluss des Parteitags am Dienstag gab es neben dem sozialdemokratischen "Denn wir schreiten Seit an Seit" noch eine Europahymne. Richtig, da war ja was. Die SPD wollte sich ja als die neue Europa-Partei präsentieren.

Nur einer war da nicht mehr zu sehen. Peer Steinbrück.

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12 Kommentare

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  • A
    axel

    Herr Repinski will uns wohl Sand in die Augen streuen, oder hat den Bezug zur Realität vollends verloren:

    Die SPD soll moderat nach "links" gerückt sein auf diesem Bundesparteitag.

    Sowohl vom Personal als auch von den Inhalten her trifft diese Zuschreibung nicht zu.

    In Gegenteil, die Agenda-Partei SPD steht für Massenarbeitslosigkeit, Dumpinglöhne, Rentenkürzungen, Senkung des Spitzensteuersatzes, Verarmung und und und hat mit "sozial" nichts mehr am Hut.

  • A
    Aha

    Danke für den Artikel. Er hat mich daran erinnert, dass es nur einen Weg gibt, die Rede eines Politikers einzuschätzen, nämlich den, sich die Rede selbst anzuhören. Auf die Einschätzung eines Journalisten sollte man dagegen nicht mehr viel geben.

  • DN
    Dr. No

    @Nils

     

    Sehen Sie es bitte einmal logisch:

    Wenn man die aktuellen Umfragen analysiert kann man sagen:

     

    1. Die CDU wird stärker als die SPD

    2. Die Linke kommt in den Bundestag; die Piraten vielleicht die FDP wahrscheinlich nicht.

    3. Grün+Rot bekommen keine eigene Mehrheit.

     

    Möglichkeiten:

    1. Große Koalition

    2. Rot/Rot/Grün

    3. Schwarz/Grün

     

    Nur in Möglichkeit 2 kann die SPD den Kanzler stellen. Stellt sie Steinbrück auf, fällt diese Möglichkeit flach. Mit einem Kandidaten Steinbrück gibt es garantiert keinen Bundeskanzler von der SPD.

    So einfach ist das. Steinbrück ist bei denen beliebt, die ohnehin nicht SPD wählen.

  • H
    Hasso

    Durch Schröder hat die SPD ihr Gesicht verloren. Und all die, die sich jetzt als etwas sozial gerechter geben wollen, waren mit der Schröderei einverstanden. Und das Steinbrück gegen eine Reichen Steuer ist stinkt schon zum Himmel, weil es unter der SPD auch nur "reiche Säcke" gibt.Allein mit seinem ,nur, rhetorisch wertvollem Gewäsch, lässt sich nichts verändern. Vorher hat er auch schon so palavert um sich dann anschließend den Mund abzuputzen. Bei der West LB hat ihm das auch nichts genutzt. Das sind alles nur Schlaue in der Theorie. Steinbrück hat laut FAKT allein im Jahre 2009 über eine Million Euro, allein für seine außerparlamentarischen Reden bekommen.Reichensteuer?

    Diese Leute fahren doch auf falschen Gleisen, warum geht dieser Haufen nicht zur FDP? Jetzt, wo der Euro zusehends an Wert verliert zeigt man sich "Spendabel".

  • AB
    August Bebel

    Nun wissen wir's also, welche schicksalhaften Handicaps die Stones an einer zündenden Begeisterung des Parteitags hinderten, so meint jedenfalls der taz-Reporter: der Rednerplatz nach Helmut Schmidt für Steinmeier und verkaterte Deligierte für Steinbrück. Da hilft wohl auch die neue Bühnenfarbkombination purpur und lila nicht zur Erleuchtung der beiden bedauernswerten Redner.

    Ironie beiseite - der beschriebene kleine Schritt nach links und die real stimmenfangenden Stones als Kanzlerkandidaten sind geeignete Zutaten für die Wiederschöpfung der großen Koalition im angepeilten 2013. Mir kommt da ein alter Anarchospruch in den Sinn: Wahlen ändern nichts, sonst wären sie verboten.

  • V
    vic

    Eine kleine Änderung von mir (in Kammern):

    (Erst) "Ohne das Primat der Politik"(dieser Politik), ruft er, "wird es keine (eine) gerechte Gesellschaft geben."

    Und bitte, verehrte taz-Red, sie nicht auch noch.

    Die SPD ist von links soweit entfernt wie Kauder, Brüderle, und der Rest der schwarz-gelben Bande.

    Wer auch immer deren K-Kandidat wird, ich hab damit nichts zu un.

    Die kommende Regierung ist- wie auch diese- gegen meinen Willen im Amt, soviel steht fest.

  • M
    Marvin

    Fortschrittlich.

    Statt "linke" Forderungen fett zu plakatieren (Merkelsteuer - Das wird teuer / Eine Schule für alle) und dann nach der Wahl ganz schnell umzuschwenken, unterlässt es die SPD einfach, noch irgendwas cooles zu versprechen. Die Selbstdemontage der FDP wird's schon richten ... die rot-grüne Mehrheit wird uns gewissermaßen in den Schoß fallen. Und was wir dann daraus machen, ist im Prinzip zweitrangig.

    Wer Visionen hat, soll doch bitte zum Arzt gehen.

     

    Die Sozialdemokrat*innen verrat*innen in Zukunft nichts und niemanden mehr, weil sie es sich einfach abgewöhnen für irgendwas oder irgendwen zu stehen.

    Vielleicht, dass man auch die Buchstaben SPD demnächst nur noch als Buchstaben ohne Bedeutung führt, damit sich da niemand mehr sozialen Illusionen hingibt. SPD ohne Sozialdemokratie, wie GSG 9 ohne Grenzschutz. Vorwärts!

  • N
    Nils

    Die SPD steht vor der einfachen Frage: Wollen wir an die Regierung, oder wollen wir es nicht?

     

    Wenn sie regieren wollen, müssen sie Steinbrück aufstellen.

     

    Wenn sie nicht regieren wollen, dürfen sie ihrem Herz folgen und Gabriel aufstellen.

     

    Es geht nicht darum, welcher Kandidat die Partei programmatisch eher vertritt - das mag durchaus eher Gabriel sein.

     

    Es geht darum, welcher Kandidat beim Wahlvolk besser ankommt, und wer in den Medien telegenere Auftritte macht, und zwar relativ losgelöst von politischer Programmatik; das ist Steinbrück.

     

    Steinbrück ist mit seinem Profil "Rechter in der SPD" auch für orientierungslose Wechselwähler des Bürgertums wählbar, die eigentlich eher besitzstandswahrend wählen und ihre Kinder gerne im sozial bereinigten Gymnasium sehen möchten und daher eher zur CDU tendieren, in der Krise aber eher auf einen Macker mit markigen Sprüchen und dem daraus resultierenden Image eines durchsetzungsfähigen Schaffers setzen, als auf Mutti Merkel, die nun auch schon lange genug dran war.

     

    Die Causa Guttenberg macht bis heute vor, dass es nicht um Inhalte geht, sondern um Image und Aussehen. Da kann Gabriel einfach nicht mithalten. Sieht die SPD das ein, darf sie evtl. in Bälde wieder ihre Stammwählerschaft verprellen. Sieht sie es nicht ein und kürt Gabriel, darf sie munter in der Opposition linke Phrasen dreschen, die sie in der Regierungsverantwortung niemals umsetzt.

     

    Ach ja, die SPD... 1998 hatte ich mich gefreut, dass sie an die Macht kam. Ich dachte ernsthaft, die würden das umsetzen, wofür sie stehen... heute weiß ich das besser.

  • N
    Nordwind

    Gabriel:

     

    “Die Namen, die für all das stehen, was unser Land gut durch die Krise gebracht hat, sind sozialdemokratische Namen: Gerhard Schröder, Franz Müntefering, Frank Walter Steinmeier, Peer Steinbrück, Olaf Scholz und viele andere. Herzlichen Dank an die, die das geschafft haben für unser Land, Genossinnen und Genossen.”

     

    Fazit: Da haben sich überhaupt nicht bewegt. Schlimmer noch. Die Haben nichts dazu gelernt!

  • H
    Hans

    Steinbrück ist dieser Parteitag herzlich egal - kann er auch, weil es sich um symbolische Politik dreht. Ob der Siggi mit seinem Bauch und seinem Knall-Drauf wirklich bessere Chancen hat? Wahrscheinlich nicht, aber Steinbrück auch nicht. Das Problem der SPD ist einfach: Sie werden keine Hegemonie mehr für sich erreichen. Und bei ihnen sitzen automatisch andere Parteien mit am Tisch. Diese Veranstaltung wird bei den Grünen manche Debatte auslösen, Stichwort von Beust und die CDU - ginge es auch mit denen? Sind Reformen nur mit der SPD möglich?

     

    Und Steinbrück knall am wenigsten, ist also für andere Parteien nicht schlecht, schon weil er innerparteilich nicht viel Rückhalt hat, dafür aber ein unkalkulierbares Ego. Das wiederum macht ihn dann doch zur bitteren Pille. Vielleicht erledigen auch die Piraten Steinbrück und die SPD.

     

    Auch ein Steinmeier hatte mal tolle Umfragewerte und war ein echter Sympathieträger - bis zur Wahl. Da war er ein Verlierer, einer der eben gar nicht zog, eine Hand, die die Aktentaschen von Gerd Schröder trug, aber nicht die Herzen der Menschen zu den Urnen. Steinmeier ist auch ein dröger NRW-Hanseat. Ehrlich, strebsam und skrubellos, aber nicht mitfühlend, nicht bewegend und schon gar nicht ein Feuerwerk.

  • C
    Celsus

    Allerdings ist auffällig, dass die mächtigen SPD-Mitgleider, die mal wieder als aussichtsreiche Kandidaten auf Abgeordnetenmandate gelten müssen, gegen eine sozialere Ausrichtung der SPD sind und lieber die Reichen vor Steuererhöhungen schützen. Es ist das umgekehrte Rbin Hood-Prinzip: Den Armen wurde genommen, Hartz IV eingeführt und der Spitzensteuersatz gesenkt.

     

    Es wäre nicht das erste Mal, dass die unangefochtene Abgeordneten- und Promi-Clique in der SPD im Wahlkampf die Meinung der Partei verkündet und nach den Wahlen einfach tut, was sie will. Ich erinnere an Mehrwertsteuererhöhungen die nach dem Wahlkampf der SPD asozial seien. Kaum waren sie in der großen Koalition gab es auf Betreiben der SPD im Bundestag die höchste Merhwertsteuererhöhung aller Zeiten. Selbst die CDU wäre nicht so weit gegangen!

     

    Ändern wird sich nichts, weil auch die SPD eine Partei ist, in der die Besitzer von Pfründen bei wichtigen Wahlen alle Mitglieder der Partei mal wieder aktivieren werden, die sonst in Mitgliederversammlungen nicht zu sehen sind. Solange die Mitglieder der SPD nicht in der Lage sind und auch nicht sein wollen, sich dagegen zu wehren, ist jedes Programm Makulatur.

  • A
    adoni

    Ekelhaft diese erbärmliche CDU-CSU Imitation und kriegsführende Lobby-Partei (dito die "Grünen")!

    Wenn diese Anti-Arbeiter und Anti-Volks-Partei SPD links sein soll, dann möchte ich gar nicht wissen was rechts bedeutet.