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Abschied vom Gaullisten SéguinKrokodilstränen für Dinosaurier

Der frühere gaullistische Minister und Parteichef Philippe Séguin ist im Pariser Invalidendom beigesetzt worden. Mit ihm wurde in Frankreich die Epoche des Gaullismus zu Grabe getragen.

Würdigung wegen seiner kompromisslosen Charakterstärke: Präsident Sarkozy am Sarg Séguins. Bild: dpa

Die direkt übertragene Zeremonie im Paris Invalidendom von Paris war wie ein Nationalbegräbnis. Frankreichs ganze politische Prominenz war da, um dem früheren gaullistischen Minister, Parteichef und Parlamentspräsidenten die letzte Ehre zu erweisen und den Nachruf von Staatspräsident Nicolas Sarkozy anzuhören. Philippe Séguin, zuletzt Vorsitzender des Obersten Rechnungshofs, war am Donnerstag 66-jährig einem Herzinfarkt erlegen.

Seither reißen die von ungebrochener Bewunderung und Respekt geprägten Nachrufe aus allen politischen Kreisen Frankreichs nicht ab. In der Tat scheint jeder in Séguin postum ein politisches Vorbild zu entdecken. Die Zeitung Sud-Ouest unterstrich zu Recht, dass "nie seit dem Hinscheiden von François Mitterrand vor 14 Jahren der Tod eines Politikers eine derart tiefe und einstimmig empfundene Emotion ausgelöst hat".

Dabei hatte Séguin nie die höchsten Stufen der Macht in der französischen Republik erklommen. Er hatte sich nie um die Staatspräsidentschaft beworben und war nie zum Regierungschef ernannt worden. Wer in deutschsprachigen Archiven nach dem Namen Séguin sucht, muss meist bis in die 90er-Jahre zurückblättern, um ihn dort mit Etikettierungen wie "Altjakobiner" und "Erzgaullist" zu finden. Er war die Stimme der "Souveränisten" bei der Abstimmung zum Maastricht-Vertrag 1992 und bot in einer Fernsehdebatte dem damaligen Präsidenten Mitterrand Paroli, um "sein" Frankreich und dessen eigene Währung gegen eine europäische zu verteidigen.

Séguin hatte sich selber nach einer politischen Karriere als gaullistischer Minister, Parteichef und Vorsitzender der Nationalversammlung mit unverhohlener Enttäuschung schon 2002 aus der Politik zurückgezogen, um sich ganz den Kontrollpflichten des Rechnungshofs zu widmen, den er bis zu seinem Tode präsidiert hat. In dieser Funktion scheute er sich nicht, auch den Staatschef und die heutige Regierung seiner vormaligen Parteifreunde wegen Geldverschwendung zu kritisieren. Ziemlich abschätzig meinte er über die politischen Programme der Parteien mit seinem so sarkastischen Humor: "Die Rechte und die Linke haben denselben Grossisten, darum verkaufen sie dieselben Produkte."

Es ist darum erst recht überraschend und geradezu verdächtig, dass Séguins Ableben offenbar eine so große Lücke im heutigen Frankreich hinterlässt. Das Vakuum an Vorbildern und Leitfiguren aber war schon vor Séguins Tod da. Es wird nun postum gefüllt. Von den Medien und aus bürgerlichen Regierungskreisen wurde Séguin im Nachhinein die Rolle einer politischen Vaterfigur zugewiesen, der alle Qualitäten und Werte der Republik verkörperte. "Philippe Séguin war ganz einfach Frankreich", endete der doch etwas übersteigerte Nekrolog der Provinzzeitung LUnion. Im selben Sinne skizzierte Präsident Sarkozy in seiner Hommage für den Verstorbenen das Porträt seines eigenen Ideals. Er würdigte den Verstorbenen wegen seiner kompromisslosen Charakterstärke und namentlich seiner "bedingungslosen Bewunderung der Ideen und der Taten von General de Gaulle", die aus ihm einen aufrechten Staatsmann im Dienst des allgemeinen Interesses gemacht habe. Diese Epoche des Gaullismus wird mit dem Betrauerten gleichsam zu Graben getragen. Da geht es nicht mehr um Ideen und Programme: "Er war kein Politiker, sondern ein Staatsmann, der aus dem Begriff des Allgemeininteresses etwas Vornehmes machen," schrieb auch Midi Libre voller Nostalgie.

Séguin wurde in zahlreichen Nachrufen mit unterschiedlicher Aufrichtigkeit als Vertreter einer aussterbenden Gattung geehrt. Respektlos meint die Zeitung La Montagne dazu: "Die Krokodile weinen um einen Dinosaurier." Von der Nationaltrauer, mit der Frankreich diesem Gaullisten einen Platz in seiner Gegenwartsgeschichte zuweist, bleiben am Ende vielleicht doch nur die rührenden Fernsehbilder der Tränen des Premierministers Fillon, der sich mehr als alle anderen als Schüler und Protégé des Verstorbenen betrachten darf.

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