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Abschiebung per Sozialhilfekürzung

■ Für Asylbewerber und „vergleichbare Personengruppen“ wird Änderung des Sozialhilferechts erwogen Sollen Flüchtlinge durch „Aushungern“ gezwungen werden, die Bundesrepublik zu verlassen?

Von Gaby Hommel

Ruhrgebiet (taz) - Vor zwei Jahren kam Salaheldin Khan aus dem Libanon im Rahmen der Familienzusammenführung nach Gelsenkirchen. Er stellte einen Asylantrag und beantragte Sozialhilfe, die ihm auch in Höhe des gesetzlichen Regelsatzes gewährt wurde. Ganze 316 Mark im Monat durfte der Libanese bis vor wenigen Wochen sein eigen nennen. Dann flatterte ihm der Bescheid des Sozialamtes ins Haus, daß aufgrund der mittlerweile erfolgten Ablehnung seines Asylantrages ein Rechtsanspruch auf weitere Zahlungen nicht mehr bestehe. Lediglich „ausnahmsweise“, so die Mitteilung der Behörde, seien für die nächsten zwei Monate noch 80 Prozent der bisherigen Hilfe zum Lebensunterhalt bewilligt worden. Zur Erläuterung dieser Entscheidung stellt das Amt unmißverständlich klar: „Hierdurch gebe ich Ihnen Gelegenheit, die für eine Rückreise erforderlichen Vorkehrungen zu treffen, denn ich gehe davon aus, daß Sie, sofern Sie in Zukunft Ihren Lebensunterhalt nicht aus eigenen Kräften und Mitteln sicherstellen können, in Ihr Heimatland zurückkehren.“ Deutlicher kann die Absicht, den abgelehnten Asylbewerber durch Druck auf den Geldbeutel zur Ausreise zu zwingen, kaum noch formuliert werden. Zwar hat das Gelsenkirchener Sozialamt mittlerweile auf öffentlichen Druck reagiert und die zeitliche Begrenzung der Sozialhilfeleistungen an den Libanesen zurückgenommen, nicht jedoch die Kürzung der ohnehin schmalen Bezüge um 20 Prozent. Salaheldin Kahn, der wie fast alle Flüchtlinge dem mehrjährigen Arbeitsverbot unterliegt, muß also das Kunststück vollbringen, von 252 Mark und 80 Pfennig im Monat zu leben. Der Fall des Libanesen ist keine Ausnahme. Als sogenannter „De– facto–Flüchtling“, d.h. trotz Ablehnung des Asylantrages vorerst in der Bundesrepublik Geduldeter, gehört er einer Gruppe von AusländerInnen an, denen in jüngster Zeit in verschiedenen Städten die Sozialhilfe gekürzt oder sogar ganz gestrichen wurde. Dabei ist die gängige Praxis momentan noch die Kürzung des Regelsatzes um ein Fünftel. Einzelne Kommunen gehen jedoch weiter und zahlen den Betroffenen schon heute keinen Pfennig mehr. So etwa die Stadt Essen, die nach Jahren einer „sozialen, humanen und großzügigen Ausländerpolitik“ nun endgültig das „Ende der Fahnenstange“ erreicht sieht. Hintergrund der um sich greifenden Sozialhilfekürzungen für De–facto–Flüchtlinge ist eine in den meisten Bundesländern geltende Finanzausgleichsregel. Danach werden den Kommunen die Sozialhilfeausgaben für Asylbewerber vom Bund zurückerstattet, während entsprechende Leistungen für geduldete AusländerInnen aus den Taschen der Gemeinden finanziert werden müssen. Daneben erfüllt das Zudrehen des Geldhahnes gerade bei De– facto–Flüchtlingen den - wie das Beispiel aus Gelsenkirchen zeigt - mehr schlecht als recht verborgenen Zweck, die Betroffenen zur „freiwilligen“ Ausreise zu bewegen, das heißt dort, wo auf politischer Ebene durchgesetzte Duldungen ausgesprochen sind und zwangsweise Ausweisungen durch die Abschiebebehörden nicht möglich sind, hungern die Sozialämter die Flüchtlinge aus. Eine rechtliche Grundlage für diese Maßnahmen der jeweiligen Sozialämter existiert bislang nicht. Nach Paragraph 120 Bundessozialhilfegesetz kann zwar der Sozialhilfesatz für De–facto– Flüchtlinge auf das „zum Lebensunterhalt Unerläßliche“ gekürzt werden, und dies sind nach gängiger Meinung 80 Prozent der Regelauszahlungen. Laut Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes ist hierzu allerdings eine Einzelfallprüfung notwendig. Eine generelle Einschränkung oder gar Verweigerung der Sozialhilfe für ganze Personengruppen ist nicht rechtmäßig. Diese aus Sicht der Städte und Gemeinden unbefriedigende Rechtslage soll nach dem Willen der Bundesvereinigung der kommunalen Spitzenverbände grundlegend verändert werden. Ihr Vorschlag, der zur Zeit von der Bund/Länder–Arbeitsgruppe zum Ausländerrecht diskutiert wird, sieht als eine Möglichkeit die Schaffung eines eigenständigen „Asylsozialhilfegesetzes“ vor. Das Sonderrecht soll für „Asylbewerber und vergleichbare Personengruppen“ gelten. Geplant ist also nicht nur, die Mittelstreichung für De–facto–Flüchtlinge auf rechtliche Füße zu stellen, sondern diese Praxis gleichzeitig auf alle Flüchtlinge auszuweiten.

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