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Abgrundtiefe Finanzlöcher im DDR-Haushalt

■ DDR-Sozialprobleme könnten Zehn-Milliarden-Loch aufreißen / Hans-Jochen Vogel: Die Regierung spielt die Kosten der deutschen Einheit herunter / Haushaltsobmann der SPD: Echter Finanznotstand ist erreicht

Bonn (dpa/taz) - Die öffentlichen Finanzen der DDR könnten in der laufenden Jahreshälfte eine dramatische Entwicklung nehmen, wenn die neuen skeptischen Annahmen der DDR -Regierung zur Arbeitslosigkeit und zur Beitrags- und Ausgabenentwicklung bei der Kranken- und Rentenversicherung Wirklichkeit werden. Annahmen des Berliner Finanzministeriums zufolge könnte ein Loch von zehn Milliarden Mark oder mehr aufgerissen werden. Während DDR -Finanzminister Walter Romberg (SPD) zusätzliche Hilfe aus Bonn erwartet, blockt sein Bonner Amtskollege Theo Waigel (CSU) weiterhin ab.

Zur Vorhaltung von SPD-Chef Hans-Jochen Vogel, die Regierung spiele die Kosten der deutschen Einheit herunter und werde um den Offenbarungseid einer späteren Steuererhöhung nicht herumkommen, erklärte der Finanzsprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Michael Glos: „Die CDU/CSU wird nicht - wie es die SPD zu ihrer Regierungszeit permanent getan hat - ihr Heil in Steuererhöhungen suchen“. Das sei angesichts von geschätzten Steuermehreinnahmen von 115 Milliarden Mark bis einschließlich 1993 auch nicht nötig. Der Haushaltsobmann der SPD, Helmut Wieczorek, erklärte dagegen, die DDR habe einen „echten Finanznotstand“ erreicht. Die Bonner Regierung müsse deshalb schnell über den Staatsvertrag zur Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion nachverhandeln. Nach einem Besuch bei Romberg und der DDR-Treuhandanstalt erklärte auch Wieczorek, im Haushalt der DDR für das zweite Halbjahr, der Ausgaben von 63,68 Milliarden Mark und Bonner Zuschüsse und Kredite von zusammen 34,75 Milliarden Mark enthält, könne das Haushaltsloch „leicht zehn Milliarden Mark“ erreichen. Die von Anfang an bestehende Lücke von 3,4 Milliarden Mark könne durch keinerlei Einsparungen gestopft werden, was die Bundesregierung fordert.

Der DDR-Finanzminister gehe von einer Verdoppelung der Zahl der zugrundegelegten 440.000 Arbeitslosen aus. Dadurch sei ein Defizit von mindestens vier Milliarden Mark programmiert. Es könne bis auf sieben Milliarden anwachsen, wenn die Arbeitslosen dicht die Millionen-Grenze erreichen. Bei der Rentenversicherung rechnet Berlin damit, daß die Beiträge um 2,5 Milliarden Mark oder um eine bis eineinhalb Monatsausgaben zu gering ausfallen. Auch bei der Krankenversicherung geht Ost-Berlin von einem „dicken Loch von vier Milliarden Mark“ aus.

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