: Abgewatschte gegen Abwatschende
Betr.: „Was lange währt, wird endlich schlecht“, taz bremen vom 15. März 2000
Als im oben genannten Artikel öffentlich Geschmähter bitte ich hier nach reiflicher Überlegung doch um die Gelegenheit einer kurzen Erwiderung: Ich habe in vertrauensvoller und schöner Zusammenarbeit mit dem Orchester, dem Dirigenten, der Philharmonischen Gesellschaft und auch der Glocke dieses Projekt seit drei Jahren vorbereitet. Dass Günter Neuhold mich nach seinem etwa fünften Verbeugen fragte: „Magst mit herauskommen?“, war in keinster Weise abgesprochen und eine spontane, nette Geste des Dirigenten. Über die Wirkung meines Auftretens und überhaupt über meiner Person darf man gern ebenso geteilter Meinung sein wie über die Qualität meiner Arbeit, insbesondere meine nun 15 Jahre währende Beschäftigung mit Bruckners Neunter (die ich unter anderem derzeit für die kritische Gesamtausgabe neu herausgebe und daher täglich Stunden über dem Revisionsbericht und den Manuskripten verbringe). Ob jedoch eine Konzertrezension der angemessene Ort dafür ist, dass eine von mir sonst fachlich geschätzte Kollegin ein Fünftel ihrer Rezension der Kritik meines persönlichen Verhaltens einräumt, wage ich doch zu bezweifeln – zumal das undifferenzierte Urteil über die Arbeit meiner Kollegen und mir von schierer Unkenntnis der Zusammenhänge zeugt. Denn nur 172 Takte des Finales sind von Bruckner ganz fertig instrumentiert, und jeder, der die Faksimile-Ausgabe kennt, besonders aber eine ausgebildete Musikwissenschaftlerin, sollte eigentlich wissen, welche Detailarbeit es bedarf, ein solches Fragment zum Klingen zu bringen. Meiner Ansicht nach hat die taz-Rezensentin ihre Konzertrezension missbraucht, einen Kollegen öffentlich abzuwatschen. Der Tonfall des ganzen Berichts und besonders auch die persönlichen Ausfälle gegen den erkrankten Wolfgang Rihm, das Orchester und die Philharmonische Gesellschaft sagen jedoch gleichwohl ebenso viel über die Abgewatschten wie über die Abwatschende selbst.
Benjamin Gunnar Cohrs
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