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■ Aberglaube und subjektive „Erfahrungen“ gegen VernunftLäßt der Mond uns ausflippen?

Berlin (taz) – Mit dem Aberglauben ist das so eine Sache. Bringen Freitage, die auf einen 13. fallen, wirklich Unglück? Welchen Einfluß hat der Mond auf unser Schicksal? Solche Fragen sind genauso ein- wie vielfältig. Immer wieder machen Schlagzeilen die Runde von gehäuften Verkehrsunfällen bei Vollmond, von gesteigerten Selbstmordraten, von Verbrechen aller Art.

Folkloristisch angehauchte Sachbuch-Autoren sprechen einzelnen Mondphasen Einfluß auf Erdbeben, den Ausbruch von Großbränden oder auf das Wetter zu; psychische Auffälligkeiten, von depressiver Verstimmung über Schlafwandeln hin zu unkontrollierbaren Aggressionsausbrüchen, sollen bei Vollmond ebenso verstärkt auftreten, wie sich auch das Sexualverhalten dramatisch verändern soll: Die Rede ist gar von Lykanthropie, dem Umgehen von Werwölfen. Auch das Geschlecht Neugeborener soll abhängig sein von Mondeinflüssen, ebenso wie der Intelligenzquotient oder der Menstruationszyklus. Chemische Reaktionen sollen bei Vollmond anders verlaufen als bei Neumond, Operationen entsprechend der Mondphase eher ge- oder mißlingen. Der Kurs des Dollars soll vom Mondstand abhängig sein, auch das Verschwinden von Schiffen im Bermudadreieck. Bei Vollmond könnten Hellseher besonders gut in die Zukunft sehen. Vor allem die Anthroposophie Rudolf Steiners schwört auf lunare Einflüsse. Zu bestimmten Mondphasen gepflanzt oder geerntet, seien Feldfrüchte besonders nahrhaft, Heilpflanzen besonders wirksam; Holz verfaule nicht, wenn es gemäß Mondkalender geschlagen werde.

Schon Aristoteles (384–322 v.u.Z.) spekulierte über Einflüsse des Mondes auf menschliche Geschicke. Bei Plutarch (46–125 u.Z.) ist erstmals davon die Rede, daß bei Vollmond mehr Kinder geboren würden. Heute gilt diese Vorstellung als „alte Hebammen- Weisheit“, an die nahezu jedeR Dritte glaubt: „Wenn der Mond schon den großen Ozean beeinflussen kann – Ebbe und Flut –, dann doch erst recht uns kleine Menschen.“

Die Darmstädter Gesellschaft zur Wissenschaftlichen Untersuchung von Parawissenschaften (GWUP) hat jetzt über 40.000 Geburtsdaten aus europäischen und Entwicklungsländern bis zurück ins 19. Jahrhundert analysiert. Der Glaube an Mondeinflüsse auf die Geburt entpuppte sich dabei als reiner Aberglaube.

Drei Gründe gebe es für das Festhalten an diesem Aberglauben: Erstens mangelt es oft an physikalischem Wissen über die tatsächlich vom Mond ausgehenden Kräfte. Falsche Vorstellungen über die Gezeiten führten zum Trugschluß, diese Kräfte hätten auch Einfluß auf das Wasser im menschlichen Körper. Zweitens berichten die Medien selektiv: „Es war Vollmond, aber es passierte nichts“ gibt keine Schlagzeile. Drittens spielt die selektive Wahrnehmung eine Rolle, die Menschen, die häufig oder besonders intensiv mit dem Gegenstandsbereich lunarer Behauptungen in Kontakt kommen, auch eher von diesen überzeugt sein läßt: Polizisten glauben an Mondeinflüsse auf die Häufigkeit von Unfällen oder Verbrechen. Gynäkologen und Hebammen – und natürlich Mütter – glauben unbeirrbar an den Mondeinfluß auf Geburten. In einer Studie wurde den ÄrztInnen einer Geburtsstation in Grenoble eine Analyse der Geburtenverteilung in ihrer Klinik vorgelegt, die ergab, daß keinerlei Zusammenhang mit den Mondphasen bestand. 85 Prozent der befragten Ärzte wollten dieses Ergebnis schlicht nicht wahrhaben, sie beharrten weiterhin auf ihren subjektiven „Erfahrungen“. Colin Goldner

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