Abenteuer im OP der Eigenwelten

■ Peter Brooks Gastspiel mit „The Man Who“ auf Kampnagel / Premiere nur für Dabeiseier

Ein Triumph mit Ansage. Leider.

Nicht, daß The Man Who, Peter Brooks englischsprachige Adaption von Oliver Sacks Buch Der Mann, der seine Frau mit einem Hut verwechselte, den Erfolg nicht verdient hätte. Natürlich hat es das: Die Aufführung ist das aufregendste, interessanteste, schlichteste, auf seine Weise artistischste, kurz: wahrscheinlich das beste Schauspielertheater, das es momentan zu sehen gibt.

Nur: Der Hype, der um das Stück und vor allem den Regisseur betrieben wird, treibt das Kampnagel-Gastspiel allzusehr ins Heute-abend-schauen-wir-uns-aber-mal-was-gaaanz-Tolles-an-Mäßige. Bei der Hamburg-Premiere am Mittwoch wurde den Zuschauern zur Begrüßung Prosecco gereicht. Die Eintrittskarten kosten 50 oder gar 70 Mark. Das Ganze schmeckt doch zu sehr nach einem reinen Theaterereignis der Art: Da muß man dabeigewesen sein - oder?

Allein dieser Begriff: Peter Brook, der Theaterzauberer! Als das Stück, damals auf französisch unter dem Titel L'Homme Qui, in Paris Premiere feierte und auch als es auf dem Festival Theater der Welt in München gastierte, geisterte diese Bezeichnung durch die Kritiken. Dabei drängt sie Brook nicht nur in eine verharmlosende Grand-Old-Man-Position, die dieser ständig mit Theater Experimentierende, dieser jetzt schon - kaum zu glauben - seit 50 Jahren immer wieder neu und immer wieder anders nach theatralen Ausdrucksformen Suchende wirklich nicht verdient hat. Darüber hinaus trifft die Bezeichnung, so wohlmeinend sie sein mag, auch ins Leere.

Niemand zaubert weniger auf dem Theater als Peter Brook. Da gibt es keine ächzende Theatermaschinerie. Da toben sich keine Bühnenbildner, keine Lichtsetzer, keine Kostüm-Couturies aus. Es gibt nur das Nötigste. Einige Requisiten: bei The Man Who ein mit sandfarbenem Teppichboden ausgelegtes Bühnenquadrat (bei La Tempete, 1991 auf Kampnagel, war es wirklicher Sand gewesen), sechs schlichte Stühle, zwei Tische sowie zwei Fernseher (La Tempete kam gar mit einfachen Bambusstangen aus). Und es gibt eine Reihe Menschen, die vor andere Menschen treten und schauspielen: bei The Man Who sind es David Bennent, Sotigui Koyate, Bruce Myers, Yoshi Oida und als Musiker Mahmoud Tabrizi-Zadeh.

Wenn Peter Brook Bedeutung hat, dann nicht als Zauberer, sondern als jemand, der sein Theater mit großer Ernsthaftigkeit um den einfachen und doch so komplexen Akt des Schauspielens organisiert. Brook inszeniert keine Tricks. Was er macht, ist ganz konkret: Seine Schauspieler versetzen sich in fremde, unverständliche Figuren, übernehmen für den Moment des Spielens deren Sichtweisen. Damit entführt Brook den Zuschauer nicht in irgendwelche Zauberwelten. Das Abenteuer, das sich bei ihm erleben läßt, ist viel profaner und viel spannender, denn es ist real: Man kann der Auseinandersetzung zusehen mit etwas, was wir nicht verstehen.

Was wäre dem gesunden Hirn fremder, was bedrohlicher, als ein krankes Hirn? Indem bei The Man Who nun Fallgeschichte auf Fallgeschichte abläuft, wird der Zuschauer eingeladen, sich der Perspektive der Kranken zu öffnen. Wie auf einem Operationstisch seziert Brook die Eigenwelten der Wahrnehmungsdefekte und Gedächtnisverluste. Nie wurde dieses Thema sachlicher und zugleich einfühlsamer, nie wurde es mit mehr Hingabe behandelt. Ja, man sollte dabeigewesen sein. Aber nicht um des Ereignisses willen. Deshalb eine Bitte: Macht Brook das nächste Mal - wenn es irgend geht - billiger!

Dirk Knipphals