piwik no script img
taz logo

Ab Mai rollen Chemiewaffen über Bremen

■ Auflösung der US- Chemiewaffen entwickelt sich zum russischen Roulette für die Bevölkerung

435 Tonnen der Nervengifte VX und Sarin, abgefüllt in insgesamt 145.000 Artilleriegranaten, sollen vom Frühjahr an aus dem amerikanischen Chemiewaffendepot in Fischbach (Pfalz) ausgelagert und vernichtet werden. Bevor das hochkonzentrierte Gift auf dem Johnston-Atoll im pazifischen Ozean verbrannt wird, muß es 500 Kilometer per Eisenbahn durch die halbe Bundesrepublik in die Verladehäfen Nordenham oder Bremerhaven transportiert werden. Zwei Routen kommen dafür in Betracht: entweder Mannheim - Köln - Münster Bremen - Endhafen oder Frankfurt - Göttingen - Hannover Bremen - Endhafen. Beidseitig

des Schienenstranges erstreckt sich in je 17 Kilometer Breite ein Streifen, innerhalb dessen alles menschliche Leben getötet wird, wenn es zu einem Explosivunfall kommen sollte. Dabei ist eines sicher: An Bremen führt keine der beiden Routen vorbei.

Nette Sachen sind das, die da bei Nacht und Nebel über die Schienen geschleust werden sollen: Bereits ein Liter des Nervengases VX reicht aus, um eine Millionen Menschen zu töten, Sarin bewirkt Sehstörungen, Atembeschwerden, Atemstillstand, dann den qualvollen Erstickungstod. Von der Munition „geht weder eine Gefährdung der Bevölkerung noch des ... eingesetzten

Personals aus“, meint dazu der Staatssekretär beim Bundesverteidigungsminister, Wimmer. Die hohe Geheimhaltungsstufe, mit der sowohl die Transportroute als auch die einzelnen Termine gedeckt werden, dienten der Sicherheit der Bevölkerung vor „rechtswidrigen Störungen und terroristischen Angriffen“.

Ganz so easy sind die Frachten natürlich nicht. Allein für den LKW-Transport von der Fischbacher Kaserne bis zum nächsten Bahnhof Miesau werden die Straßen weiträumig abgesperrt. In der Husterhöh-Kaserne in Pirmasenz werden derzeit spezielle Verpackungsbehälter mit Bleimantel gebaut. Das Verpackungsprinzip ist

das der russischen Puppe: Das Bleigefäß wird in einen größeren Container eingelassen, der dann zunächst auf dem LKW, dann auf einem Eisenbahnwaggon verladen wird. Das Pionierbataillon 2320 in Zweibrücken ist für die insgesamt 300 Spezialbehälter verantwortlich, die auf Stoßsicherheit, Belastbarkeit und Wasserdruck bis 12 Meter Tiefe berechnet sind. Dem eigentlichen Munitionszug wird immer ein Begleitzug voranfahren, in Hannover steht während des Chemiewaffen-Transports der Sanitätszug der Deutschen Bundesbahn bereit. Im Gebiet um Fischbach hat die Schutzpolizei und die ABC-Abwehr in diesem Jahr von Mai bis September Urlaubssperre, die Feuerwehren haben ständig Probealarm. Für die Pfälzer „Arbeitsgruppe Gift auf Schienen“ ergibt sich aus den Transportrisiken die Forderung nach einer lückenlosen Aufklärung über Zeit, Ort und Umfang der Chemiewaffentransporte. „Geheimhaltung“, so meint die AG, „ist gegen die eigene Bevölkerung gerichtet“.

Die Landtagsfraktionen der Bremer Grünen und Sozialdemokraten werden voraussichtlich heute im Landtag über einen Antrag entscheiden, in dem die Bundesregierung zur umfassenden Information der betroffenen Länder, Gemeinden und Kommunen aufgefordert wird. Da bis heute nicht sichergestellt ist, ob die Chemiewaffen letztlich doch nur gegen neue ausgetauscht werden, schließt der Antrag ein Verbot über Entwicklung, Produktion, Besitz und Weitergabe aller C-Waffen ein. Markus Daschne

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

taz zahl ich illustration

tazzahl ich

All you can read

Niemand muss taz lesen. Aber wer will, kann. Unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Das ist dank Ihrer Unterstützung möglich!

  • Ja, ich will
  • Unterstützen Sie die taz jetzt freiwillig mit Ihrem Beitrag
  • Vielen Dank, dass Sie die taz unterstützen
  • Schon dabei!