■ Aachener Offizialkarnevalisten toben: „Organisierter Schmutz“
Aachen (taz) – Einen Monat vor der Jeckensession erlebt Aachen schon seinen karnevalistischen Höhepunkt. Schuld sind die Alternativkarnevalisten mit ihrer parodistischen Strunxsitzung, jener Mischung aus politischem Kabarett, Comedy und Klamauk. Kaum war herausgekommen, daß sie ihre diesjährige „Prinzessin“, die Aachener Chansonette und Brecht- Interpretin Iane Reisenauer, „Au Hur I.“ getauft haben, tobt das Humptata-Establishment. Au Hur – alte Hure! Die Bedenkenträger des Offizialkarnevals heulen öffentlich auf: „Unterste Schublade“, „blamabel“, „geschmacklos“. Georg Helg, notorischer FDP-Funktionär und Präsident wider den tierischen Ernst, outete „Karneval unterhalb der Gürtellinie“. Ein betagter „Stimmungssänger“ drohte gar mit „rechtlichen Schritten“. Tatbestand: „Antikarneval miserabler Art“, „organisierter Schmutz“, „Sauerei“. Die empörten Moralwächter der Zotenzunft führen als Kronzeugen neunmalkluge Mundartforscher an, die den Begriff Au Hur dünkelbeladen „niederen Kreisen“ zuordnen. Dabei vergessen die Elfenbeinturmdialektdialektiker: Au Hur mag lautmalerisch oder auch ethymologisch der alten Hure entlehnt sein, hat aber ansonsten mit einer betagten Prostituierten wenig zu tun, sondern ist ein Begriff alltäglichen Aachener Lebensgefühls, universell einsetzbar als Ausdruck von Erstaunen, Ärger, Begeisterung, auch Beschimpfung. Doch wer da ernsthaft beleidigt reagiert, muß mindestens mit der gleichen ignoranten Borniertheit geschlagen sein wie Aachens Lustigkeitsfunktionäre vom Bumsfallera- Karneval. Die Strunx-AktivistInnen sehen endgültig „den Unterschied zwischen U- und E-Karneval bewiesen“. Und grinsen sich eins. Der U-E-Clinch ist systemimmanent: Schon 1992 wurde Strunxprinz Seine Schwulität Jonathan I. wüst beschimpft, weil er – „widerlich“ – statt Kamelle Kondome unters alternative Jeckenvolk geworfen hatte. In Köln bei der dortigen Stunksitzung ermittelte 1993 gar der Staatsanwalt wegen Blasphemieverdacht (Jesus mit „Tünnes“- Schild anstelle INRI). Im Jahr darauf wurde ein hoher Offizieller des kölschen E-Karnevals verstoßen, weil er sich, sogar lachend, beim Stunk gezeigt hatte. Beim Humor hört der Spaß bekanntlich auf. Aachens grün-alternative Szene hat derweil ein viel gravierenderes Problem. Der Au-Hur-Streit hat viele neue Interessenten (womöglich aus niederen Kreisen?) neugierig gemacht. Die Folge: Frühmorgens um sieben waren innerhalb von 10 Minuten alle knapp 2.000 Karten für die sechs Strunx- Vorstellungen im Februar abgesetzt. Und viele der Stammbesucher gingen ratlos leer aus. Panik kommt auf, denn Strunx ist Pflichtprogramm der Szene. Und weil beim Spaß der Humor bekanntlich aufhört, machen umgehend Gerüchte die Runde über angeblich verschobene Kartenkontingente – was aber jeder Rechenkundige gleich als Unfug identifizieren kann. Es sei denn, man erkennt im erstmaligen Gegenbesuch des Kölner Stunkchefs Jürgen Becker – in dieser Saison wegen Vaterschaftsurlaub moderationsbefreit – einen rügenswerten Klüngel. Die Aachener Veranstalter, darunter wichtige städtische und landesweite Mandatsträger der Bündnisgrünen, sind in der Zwickmühle: Freut man sich über immer größeren und breiteren Zuspruch für das hochgelobte Programm, droht ein ernstes Versorgungsproblem der nahestehende Klientel. Was jetzt in großer Zahl passiert ist. Wer meckert, bekommt zu hören, selbst grüne Ratsvertreter seien versehentlich leer ausgegangen. So hat auch der wirklich komische, schräge, freche, respektlose U-Karneval seine kleinen E-Seiten. Au Hur! Bernd Müllender
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