AUSLESEN STATT HELFEN – DAS MACHT DIE DEUTSCHE SCHULE SCHLECHT : Kleine Helden, große Versager
Schon wieder eine Schülerstudie, jammert der Zeitgenosse und wendet sich ab. Dabei lohnt es sich, auch die Grundschul-Leseuntersuchung Iglu zu beachten, denn sie ist eine einzige Erfolgsmeldung. Die zehnjährigen SchülerInnen, die getestet wurden, erzielen famose Ergebnisse: Rund 20 Prozent weisen die höchste Lesekompetenz auf, die Risikogruppe, der weiteres Lernen kaum möglich ist, befindet sich im Einprozentbereich. Auch im internationalen Vergleich stehen die lieben Kleinen groß da. Prima!
Wieso müssen wir eigentlich so zerknirscht über die 15-jährigen Pisa-Deppen sein, wenn es bei den zehnjährigen Iglu-Helden so gut läuft? Weil es eine Problemzone im Schulsystem gibt: die vierte Klasse, jenes Jahr der Entscheidung, das SchülerInnen, Eltern und Bildungspolitiker so nervös macht. Geht es auf die Vierte zu, hört das verstehende Lernen auf und geht ins zensierbare Lernen über. LehrerInnen werden gezwungen, mit dem anzufangen, was Schule später so schlecht macht: Bewerten, Benoten – Auslese statt Hilfe.
Das Erschütternde an der Auslese in der Vierten: Sie erfolgt nicht nach Leistung, sondern nach Herkunft. Und das Inakzeptable des Lernens nach der Vierten: Es finden sich häufig nur noch kümmerliche Lernfortschritte, am schlimmsten in den unteren Schulformen. Die Sekundarstufe eins, wie die Klassen fünf, sechs und folgende heißen, ist oft vergeudete Zeit. Müssten wir sie also nur zur Gesamtschule zusammenfassen und alles würde gut?
Selbstverständlich nicht. Das ist ja die Crux des Schulkonflikts. Für die einen ist ausschließlich die Leistung glückselig machend; die anderen betonen einseitig das Soziale. In Wahrheit aber ist beides wichtig. Die Sekundarstufe muss einen anderen Unterricht bekommen, sie muss motivieren und fördern. Gleichzeitig aber müssen die Konservativen zugeben: Eine selektive Schule treibt die Leistungen und die Chancen der SchülerInnen auseinander. Dies zu akzeptieren hieße doch nicht, die Gymnasien dem Sturm preiszugeben. Es würde den Weg frei machen für einen Schulkonsens: früher anzufangen, besser zu fördern – und, endlich, den Auslese-Showdown von der Vierten schrittweise nach hinten zu verlegen. CHRISTIAN FÜLLER