AUSGEHEN UND RUMSTEHEN VON RENÉ HAMANN : DER QUEERE STIL DER GÄSTE WAR ZUR GENÜGE BEGUTACHTET WORDEN
Solche Geschichten halt
Die Zeit der großen Geschichten ist vorbei, es gibt nur noch kleine Geschichten. Am Freitagabend stand ich in der Flittchen Bar, zehn Jahre zu spät. Ein sympathischer junger Mann legte Stock-Aitken-Waterman-Produktionen auf, es war recht voll, die Luft war lange klar und gut, und alle schienen sich an dieser speziellen Mischung aus Tanzgesellschaft, Umtrunk und Vernissage zu freuen, auch an der interessanten Mix aus Hetero und Schwul/Lesbisch.
Zur Vorbereitung waren wir bereits im Möbel Olfe gewesen. Jedenfalls, ich stehe da so mit drei, vier Damen an der Garderobe, wo es irgendwie nicht weiterging. „Der Garderobiere scheint noch damit beschäftigt zu sein, seine Telefonnummer aufzuschreiben“, mutmaßte ich zu der verschwitzten Filmredakteurin, die eben noch zu The Clash getanzt hatte. Der Garderobiere schaute kurz von seinem Zettel auf, fixierte mich freundlich und sagte: „Nein, das mache ich ja nur bei gutaussehenden jungen Männern, und von denen sehe ich gerade niemanden hier.“ Ich schaute mich um. Und tatsächlich waren außer mir ja nur Frauen zu sehen.
Später ließ der DJ mächtig nach, sodass er folgerichtig durch Frau Rösingers besonderen Spezi, Herrn Spechtl aus Wien, abgelöst wurde. Herr Spechtl, bei dem ich mich gleich fragte, warum so einer nun wieder genauso aussehen muss, wie er eben aussieht, so nach schlauem, aber leicht linkischem Musikus eben, cool, eitel, aber weltoffen und wienerisch, wie auch immer, Herr Spechtl legte auch gleich wieder gut los.
Danach ging es trotzdem wieder bergab, der queere Stil der meisten Gäste war zur Genüge begutachtet und nicht durchweg verstanden worden, aber egal, geraucht wurde inzwischen auch, die Örtlichkeit bleibt aber trotzdem eine nette, so schnell müssen wir allerdings nicht wieder da auftauchen. Die Flittchen Bar. Im sogenannten Südblock. Am Kotti. Zwischennutzung. Abbruch nicht vor 2020.
Beeindruckt war ich in der Paloma Bar, nicht wegen des Gedränges und überhaupt dem Umstand, dass sich so viele junge Menschen in Unbeweglichkeit auf Garagengröße aufhalten wollten bei Tanzmusik, die eher in Scheunengröße präsentiert gehört, sondern wegen des unfassbar eleganten, dabei voll einfachen Übergangs von der einen unbekannten zu der einen bekannten Nummer, also seitens des DJs, und das bekannte Stück war „French Kiss“ von Lil Louis, das Stück mit dem Frauengestöhn, auch schon uralt, aber was soll ich sagen, ich bin ja nicht der einzige, der Platten im Schrank stehen hat, die so alt sind wie er selbst, also ich. Äh. Ja. War jedenfalls gut, der Moment.
Am Samstagabend dann wäre ich fast vor dem Fernseher versackt, wenn „Breaking Bad“ nicht schon um halb zwölf zu Ende gewesen wäre und diese Lochfraßpanik eingesetzt hätte, die mich dreimal zum Kotti und zweimal wieder halb zurück geführt hat, bis ich endlich die U-Bahn zum Hermannplatz genommen habe, um im „O Tanenbaum“ (ja, korrekt, kein H und nur ein N) vier Kirschbiere aus Belgien zu trinken und mich mit drei Freunden, einer Freundesfreundin und zwei zugereisten Schweizerinnen über unter anderem Tierfilme zu unterhalten.
Da erzählte dann Freund Ch. die Geschichte von der Spanierin, die sich bei einem Essen mit drei oder vier Männern über ihr langweiliges Liebesleben beschwerte und dass sie einfach keinen guten Mann finden würde und sie aber gleich aufbrechen wollte, um draußen mal zu sehen. Und den Männern seien die Augen ausgefallen, während sie sich in aller Ruhe die Fingernägel lackiert habe. Tja. Solche Geschichten halt. Berliner Nachtleben. Ihr kennt das ja.