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■ AUS POLNISCHER SICHTIdee Präfix

Die Präfixe als Instrument der cognitiven Erfassung der Wirklichkeit setzen sich immer stärker durch. Ein Prä-fix kann aber auch ein Vor- urteil sein. Auch die Verbalisierung der Prozesse und Zustände in Osteuropa und in der Ex-Sowjetunion wird massiv mit Präfixen betrieben. »Ex-« ist dabei eines der harmlosesten und neutralsten Beispiele. Obwohl auch in diesem Wort eine bestimmte, Hegelsche Vision der negativen Entwicklung steckt. Eine beispiellose Karriere hat das Präfix »Post-« gemacht. Seine Benutzung ist in verschiedene Gruppen aufzuteilen: die Bedeutung, die eine Weiterentwicklung mit gewissen Elementen der Hegelschen »Aufhebung« darstellt, tritt z.B. im Wort »Postimpressionismus« auf und bereitet wenig Schwierigkeiten. Auch geht es noch mit dem von Daniel Bell lanciertem Wort »postindustrial« (society) einigermaßen einfach zu: der Sinn umfaßt das Industrielle, überschreitet es aber, indem der Schwerpunkt schon auf einem anderen, neuen Element liegt (Dienstleistungsgesellschaft, Konsumerismus oder was auch immer). Die wahrhaft paradigmatischen (hier erlaube ich mir, eine ganz neue, 97. Konotation des Begriffes »paradigmatisch« zu kreieren: für mich bedeutet er einfach »schrecklich«) Schwierigkeiten fangen mit dem Terminus »postmodern« an. Alleine die Bibliographie zu diesem Thema würde den Rahmen dieses Scherzes sprengen. Es geht um folgende Bedeutungsgruppen: 1. eine Gruppierung der spanischen Literatur am Anfang des 20. Jahrhunderts, wo der Begriff eher konservative Schriftsteller markierte, die nach den »modernen« kamen, 2. eine wichtige Strömung der US- amerikanischen Literatur ab etwa 1955, die sich von den modernen Schriftstellern grundsätzlich in dem unterscheidet, daß es in den postmodernen Büchern um keine Neudefinierung des Romans, keine Entdeckung neuer literarischer Mittel, sondern vielmehr um Plot geht, wobei die von der modernen Literatur entwickelten literarischen Instrumente nach Belieben gemischt und benutzt werden, 3. eine Strömung in der Architektur, seit etwa Ende der 70er Jahre (der Anfang wird meistens mit dem Entwurf Philip Johnsons für das AT&T-Gebäude in New York gleichgesetzt), 4. alles, was im Denken, in der Kunst, in der Kultur und in der Politik, sogar im Alltagsleben in den 80er Jahren eklektizistisch war, 5. alles.

In einem Essay über Finnegans Wake beschreibt Ihab Hassan die postmoderne Vorstellungskraft als ein kollektives Produkt und vergleicht die Äußerungen von James Joyce über sein Meisterwerk mit den Aussagen der Kulturologen, die die Postmoderne als eine Mischung der hohen Kunst und Massenkultur beschreiben, dabei findet Hassan die sogenannte Imagination der Wiederholung zentral gleichwohl für das Werk von Joyce, wie für das postmoderne Bewußtsein.

Woran denkt man jedoch, wenn man das Präfix »post-« im politischen Kontext des heutigen Osteuropas benutzt ? — Gewiß an die Perseveration der Fehler, der ewigen Rückkehr (wie in Alain Besan¿ons Vision von ewiger NÖP/Kriegskommunismus-Oszillation). Das aber ist nicht die einzige Entwicklungsmöglichkeit. Außer einem Rückfall zum Totalitarismus und einer Konvergenz mit dem Kapitalismus gibt es noch offene Szenarien. Es geht hier nicht um den sogenannten »dritten Weg«, sondern um eine Hoffnung der Menschheit, an einem neuen Anfang zu stehen.

Mit dem Präfix »post-« wird in der Osteuropa-Debatte nicht zu knapp geklotzt: posttotalitär, postsowjetisch, postkommunistisch. Interessant, daß man die hiesige Gesellschaft nicht als postnazi(onalsozialistisch) bzw. postfaschistisch beschreibt. Wenn einige Individuen eine nostalgische Haltung zu den alten Zeiten zeigen, nennt man sie in Deutschland neo-.

Zu Recht halten diese Begriffe die Tatsache fest, daß sehr viele Elemente der alten Ordnung weiter vorhanden sind. Auch das sie umkreisende Chaos, das jeder Beschreibung entgeht, begünstigt das Denken über die osteuropäischen Gesellschaften in alten Kategorien. Dadurch kann jedoch sehr wenig erklärt und noch weniger prognostiziert werden.

Außer Präfixen gibt es eine besondere Wortgruppe, die den Übergang auf eine vor-programmierte Weise beschreibt, als Bewegung zu einem Ziel, das nicht nur schon lange bekannt ist — zugleich ist das ein Zustand, den die Beschreibenden längst erreicht haben. Diese Worte kann man als Präfixe honoris causa bezeichnen: die Demokratisierung, die Pluralisierung und schließlich das schwerstgeladene: die Modernisierung (das Musterwort: die Arisierung).

Sehr selten werden dagegen selbständige Termini benutzt, die diese Wirklichkeit, auch wenn in statu nascendi bzw. als Prozeß beschreiben würden.

Bleibt uns nur das neutrale Wort: Wechsel? Piotr Olszowka

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