AUS DER NISCHE IN DIE KULTURINDUSTRIE : Absolut økologisk
CLAUS LEGGEWIE
Vom kurzatmigen Elektroauto bin ich in Kopenhagen aufs langmütigere Fahrrad umgestiegen. Die dänische Hauptstadt ist ein Zweiradparadies mit extrabreiten Fahrwegen, und in der „Freien Stadt Christiania“ ist dort vor Jahren ein häufig imitiertes Lastendreirad kreiert worden, das seinen Weg um die Welt gemacht hat. Die legendär gewordene Fristad Christiania entstand als autonome Wohnsiedlung 1971, als dänischer Zweig im globalen Hippie-Imperium zwischen Haight Ashbury und Ufa-Fabrik. Lange Jahre wurde die 1.000-Seelen-Republik vom dänischen Staat toleriert, weiche Drogen waren erlaubt. Doch seit der rechtsliberalen Wende 2001, die Dänemark in vieler Hinsicht gedreht hat, ist das Leben in Christiania schwieriger geworden. Den Missmut der Althippies bekommen Kopenhagenbesucher zu spüren, die mal einen Blick ins verlorene Paradies werfen wollen und dabei gegen das Fotografierverbot verstoßen.
Warum die schlechte Laune? Christiania Bikes sind ein schönes Beispiel für die Normalisierung alternativen Lebensstils, und ein Fahrrad ist das klimaverträgliche Fortbewegungsmittel par excellence. Auch wenn es an der chinesischen Ostküste vorübergehend dem Auto weichen muss, wird es diesem Fossil à la longue in urbanen Verdichtungen und Megacities überlegen sein. Wer es nicht glauben mag, schaue sich den Rückbau der sechsspurigen Stadtautobahn über dem Cheonggyecheon-Fluss in Seoul an, an dem heute wieder Fußgänger flanieren, Radfahrer ihre Bahn ziehen und energieeffizienter öffentlicher Nahverkehr fließt.
Zum Klimagipfel wirkt ganz Kopenhagen grüngewaschen. Hier könnte auch eine Olympiade oder eine Fußball-WM ausgetragen werden – Sponsoren überall und alle übertrumpfen sich beim CO2-Sparen. Die Deutsche Bank hat eine rasende Kohlendioxiduhr in der Nationalbibliothek installiert, Siemens plakatiert die U-Bahnen voll, der Elektro-Renault ist für Frankreich am Start, und Coca-Cola darf auch nicht fehlen. Bis in den kleinsten Laden ist alles absolut økologisk, als hätte die Welt noch nie anders getickt.
Dieser Voluntarismus der Kulturindustrie ist erschreckend und beruhigend zugleich, denn das mediale Rauschen wird den Verbrauchern, die ihren Weihnachtseinkauf machen, im Ohr bleiben und den Bürgern, die sich demnächst ihren Vers auf die Ergebnisse der Klimadiplomaten draußen vor der Stadt machen sollen. An allen Produkten und Dienstleistungen wird irgendwann ein Klimalabel hängen, jeder Einkauf wird daran gemessen und dokumentiert, welchen Klimaabdruck er hinterlassen hat. Und auch Regierungen werden sich an ihrer Klimapolitik messen lassen. Es ist erstaunlich, was aus Christiania alles geworden ist.