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■ AUS BOSNISCHER SICHTKeine Nachrichten aus Zenica

Flüchtlinge. Aus dem Libanon, Armenien, Israel. Jahrelang berührte dieses Wort nur flüchtig meine Ohren. Manchmal fragte ich mich selbst, ohne die Absicht, eine Antwort zu geben: »Warum irren sie umher, mit all ihren Sachen auf dem Rücken? Sie sind ohne Hoffnung, ein besseres Leben zu finden.«

Heute bin ich auch einer von 17 Millionen Flüchtlingen in der Welt und weiß endlich: »Zu schwer ist es, ein neues Leben wieder von Anfang an zu leben. Meine Tochter und ich sind Flüchtlinge aus Bosnien. Das erwähne ich nicht so oft, da sie es nicht gern hat. Wenn sie in einem Schaufenster den Blick auf ein Spielzeug richtet, winkt sie mit der Hand ab — bald gehe ich in die Schule, und wir müssen an die Schulsachen denken. An die Puppen — ein andermal. Vor einigen Tagen hat meine Tochter einen Brief an ihre Oma geschrieben, die am Meer in der Nähe von Dubrovnik (dort ist auch Krieg) lebt: »Es ist die nackte Wahrheit: die Zeit, in der ich alles bekommen habe, was ich mir gewünscht habe, ist Vergangenheit. Doch will Mutti nicht aufrichtig gestehen, daß wir jetzt arm sind. Obwohl wir zu sechst in nur einem Zimmer schlafen und ich kein Fahrrad habe.« Mein ganzes Leben in drei Sätzen von einem neunjährigen Mädchen. Ich erkläre ihr, daß wir eigentlich Glück gehabt haben, da viele Monate lang Hunger leidend in den Kellern sitzen und daß viele nicht überlebt haben. Wir sind doch hier und haben in Berlin viele gute Leute kennengelernt. Sie helfen uns.

Nachrichten. Darauf warten wir immer ungeduldig, aber wenn wir sie hören, sind wir noch unglücklicher, noch trauriger. Es macht mich nervös, daß man über Bosnien-Herzegowina und über diesen Krieg nur aus Sarajevo berichtet, nur von Sarajevos Straßen, nur aus Sarajevos Kellern. Es gibt leider noch viele zerstörte Städte, noch viele Kinder in den Kellern, noch viele niedergerissene Häuser, nicht nur in Sarajevo. Was ist mit Mostar, Capljina, Derventa, Bosanski Brod? Schon fast vier Monate, seitdem ich in Berlin bin, habe ich nichts von Zenica, meiner Stadt, gehört. Zenica, 60 Kilometer von Sarajevo entfernt — als ob es in diesem Krieg vom Angesicht der Erde verschwunden wäre. Keine Nachrichten aus Zenica, Doboj, Maglaj, den Städten in Mittelbosnien. Mein Mann ist auch dortgeblieben. Wenn ich doch irgend was von meiner Stadt hören könnte! Ungefähr 150.000 Menschen, die in dieser Stadt leben, sind schon monatelang von verschiedenen Armeen eingekreist. Vielleicht verhungern auch sie, wie die anderen, die in diesen Krieg hineingezogen wurden.

Nur wenigen gelingt es, aus diesem Kreis zu fliehen. Man fährt nach Split. Wer Glück hat, der erreicht das Ziel: das Meer. Die Freundin meiner Bekannten aus Berlin ist mit ihrem Sohn und ihrer Schwester sieben Tage lang von Sarajevo bis Split gefahren. Sonst fährt man in vier Stunden. Einige Tage wurden sie von serbischen Soldaten in einer Dorfschule, ohne Wasser und ohne Essen, festgehalten. Als sie in Split ankamen, hatte die Freundin meiner Bekannten zehn Kilo abgenommen. Sie hatte so viel Essen bei sich, daß ihr dreijähriger Sohn einmal pro Tag essen konnte.

Jetzt sind sie bei Freunden. Aber das Kind weint immer, wenn es das Hupen eines Autos hört. Für das Kind und sein kleines Köpfchen kann das nur ein bedrohendes Flugzeug bedeuten, das er drei Monate im Keller seines Hauses in der Nähe von Sarajevo gehört hat. Senda Turkovic-Marjanovic

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