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Archiv-Artikel

AUFSCHWUNG AN DER KOLUMBISCH-VENEZOLANISCHEN GRENZE Zuverdienst mit Bibeln

VON GERHARD DILGER

NEBENSACHEN AUS CÚCUTA UND SAN ANTONIO

Cúcuta in Nordostkolumbien ist die größte Stadt an der Grenze zu Venezuela. Hier ist man froh darüber, dass die diplomatischen Beziehungen zwischen den zwei Andenländern demnächst wieder aufgenommen werden. „Wir alle haben Verwandte beiderseits der Grenze“, sagt Teresa Reyes, die auf der Plaza Santander im Zentrum ihre zwei Handys zum Telefonieren anbietet. Die Kriegswarnungen des venezolanischen Präsidenten Hugo Chávez hat sie nie für bare Münze genommen.

Mehr Sorgen bereitet ihr die Wirtschaftsflaute. „Wegen ihrer schwachen Währung kommen viel weniger Venezolaner zum Einkaufen als früher“, berichtet sie, „viele Kleider- und Schuhgeschäfte mussten dichtmachen.“

Umgekehrt besorgen sich viele Kolumbianer im venezolanischen Grenzort San Antonio subventionierte Grundlebensmittel oder Benzin, das dort seit jeher billiger ist als Wasser. Doch gute Arbeitsplätze sind auch dort rar. María Rodríguez, die im sechsten Monat schwanger ist, verkauft am Rande des palmenbewachsenen Platzes frisch gepresste Säfte, zehn Stunden am Tag. Obwohl sie das schon sieben Jahre tut, bekommt sie von der Gemeinde keinen Gewerbeschein. Als einige schwerbewaffnete Polizisten näherkommen, schiebt sie ihren Wagen einen Straßenblock weiter. Ihr Entschluss steht fest: „Zum Jahresende ziehe ich nach Venezuela, dort haben es die Armen besser.“ Als Kolumbiens Regierung 2009 das jetzt kassierte Militärabkommen mit den USA unterzeichnete, sah sich Chávez verstärkt nach neuen Geschäftspartnern um, der bilaterale Handel stürzte ab. Das soll nun anders werden. Auf der internationalen Brücke ist der Aufschwung bereits mit den Händen zu greifen: Dort herrscht Hochbetrieb.

Edgar Bermúdez kauft in Venezuela Stoffreste, mit denen in Cúcuta Kissen gefüllt werden. Er freut sich, dass er nun an der Grenze keinen Schikanen mehr ausgesetzt ist. Jaime Duarte, der auf seinem Motorrad venezolanische Müllbeutel transportiert, ist ebenfalls hochzufrieden. Taxi-, Bus- und Lastwagenfahrer haben Ähnliches zu berichten.

Esteban González ist mit einer Fuhre Bibeln aus Bogotá gekommen, der ersten seit acht Monaten. Mein Taxifahrer erzählt, wie sich venezolanische Grenzer ihr Gehalt aufbessern: Kolumbianer, die ihre Wagen mit preiswertem Sprit vollgetankt haben, müssen an sie eine ganz private Mineralölsteuer abführen, meist an eine mobile Streife. Von der erhalten sie ein Kennwort, das von Kollegen an der Grenze überprüft wird.