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AUFSCHREIBUNG AUS TRIENT

Das Hotel klein, heiß, das heißt: unten geht es, auf dem Fußboden aus weißem Marmor. Aber wenn ich die Treppe in die Höhe gehe, die vier Stockwerke, schlägt mir die Hitze entgegen. Zuletzt aus dem Zimmer, in dem die Frau auf dem Bett liegt, mit Schweißperlen auf der Stirn und nackten Armen, und den Kopf nicht rührt. Nur die Augen rührt, die hin- und hergehen und sagen: Bitte Wasser. Und wenn ich sie stütze, trinkt sie, und das Wasser rinnt ihr über die Lippen auf die Haut, es ist eiskalt. - Und ich brauche es aus dem Hahn nicht lange laufen zu lassen, es ist im ersten Augenblick kalt, trotz der Hitze sonst hier, weil hier Gebirge ist, weil es aus dem Stein kommt, aus der harten dichten sofort eiskalten Steinmasse, auf der die Erde in den Tälern hier ein bißchen verwitterte Krume ist, nicht sehr tief, nicht locker, und von Steinen durchsetzt. - Aber sonst ist die Hitze im Zimmer - und hier auch auf dem weißen Marmor, aus dem das Waschbecken ist; und dem weißen Marmor, aus dem das Fenstergesims ist; und draußen auf den rostroten Ziegeln, engen Röhrchen nebeneinander, auf die ich hier sehen kann - auf die niederen Dächer. - Ich habe sie unter mir: die rostroten Ziegel, die Fliegen, die auf ihnen kriechen, die Schwalben, die über ihnen fliegen; und nur etwas ist grün - eine Wand gegenüber, höher als die Ziegeldächer und auf der anderen Seite, der Platz dazwischen; dort steigt sie auf, höher auch als das Hotelzimmer: eine grüne Efeuwand an einer grauen Mauer. (...) * * *

Das Hotel klein, heiß. Und unten der Mann vom Abschleppdienst, der auf mich wartet. Er vertreibt sich die Zeit, indem er aus einer Art Aquarium, das mit Luft gefüllt ist, Zigarettenpackungen fischt. Er wirft eine Münze ein und bewegt eine Angel, die wie ein winziger Greifbagger ist, im Innern eines gläsernen Kastens. Ein leises Surren kommt aus dem Kasten, solange er auf die Hebel drückt. Dann kommt Stille, und die Angel geht langsam nach unten. Sie streift an künstliche Korallenbäume, Blüten, schwankt ein wenig; der Mann kneift das Auge zu, als wolle er schießen, er kann die Angel stoppen. Vorsichtig dirigiert er sie, hält sie an, läßt sie ein Stück in die Tiefe. Aber nun kommt der Augenblick, in dem die Greifklauen die Packung berühren, und nun kommt das Surren wieder, sie werden sich schließen. Dem Mann gelingt es, die Packung zu fassen, sie geht ein Stück hoch über dem künstlichen Schottergrund, aber nun rutscht sie aus - rutscht nicht ganz heraus aus den Greifklauen, schwebt zwischen den Korallenästen. Bravo, sagt jemand, es ist der Wirt, der herzugetreten ist, er sagt es mit ernster Miene in dem jungen Gesicht, das immer aussieht, als habe er alles mögliche zu bedenken. Und er nimmt sich auch nur einen Augenblick Zeit, das Ergebnis zu notieren, dann geht er hinter die Bar und schenkt zwei Gläser Wein ein. Der Mann vom Abschleppdienst richtet sich auf. Er hat eine Packung amerikanischer Zigaretten gewonnen. Er bietet mir eine an. Er bietet mir ein Glas Wein an, die zwei Gläser an der Bar sind für uns bestimmt, er hat sie bestellt. (...) * * *

Das Hotel klein, heiß. Das heißt: unten geht es - unten, wo zu ebener Erde der Marmorfußboden ist, und draußen der Platz, Kopfsteinpflaster, ein alter Platz, aber auf dem Pflaster die weißen Farbstriche, die ihn zu Rechtecken abteilen für Autos, die hier parken; und hinter dem Platz ein Abstand aus Bäumen: Bauminseln, die vor einer Mauer liegen, mit Ruhebänken dazwischen; und hinter der Mauer die Fernstraße, die aus Verona heraufkommt und wie eine gespannte Saite hier vorübergeht, als Umgehungsstraße; und auf der gegen Abend die Autos durchkommen, die nach Norden fahren, die großen Lastzüge mit Gemüse und Obst, und manchmal auch anhalten hier unter der grünen Efeuwand des Kastells; dann stehen drüben die Wagen mit offenen Türen, und die Fahrer kommen herüber ins Hotel an die Bar. Sie halten hier ihre Raststation.

Jetzt ist diese Zeit, kurz vor acht, da fängt es an, die ersten kommen. Das hat mir der Wirt gesagt, es ist sein Geschäft, er ist nur Pächter, und er braucht dieses Geschäft. Und warum sie hier halten? Die Frau des Pächters sagt: Weil es ein so schöner Platz ist! - Sie drückt sich das dunkle Haar fest, eine junge Frau mit weißer Haut und dünner Bluse und immer nassen Händen, weil kaum eine Minute vergeht, in der sie nicht an die Bar muß, um etwas einzuschenken und Gläser zu waschen. Jetzt lehnt sie unter der Tür und sieht auf den schönen Platz. Aber ihr Mann, der nur älter aussieht im schwarzen Rock und im Gewand seiner stets ernsten sorgenvollen Miene, die vielleicht daher kommt, daß er aufhören will, Pächter zu sein, und Besitzer werden will, sagt: Weil es der letzte Platz ist, an dem sie italienisch sprechen; und mit gemessener Gebärde zeigt er nach Norden: ein paar Kilometer noch italienisch, und dann kommt deutsch, dunkel, Gebirge, Lavis, Mezzolombardo, Salorno. Salurn, schon deutsch.

Franz Tumler

Auszug aus der kürzlich erschienenen Neuauflage des gleichnamigen Romans (Serie Piper, Band 1019, München 1989), der zunächst die Geschichte eines Autounfalls ist, durch den ein Mann und eine Frau in eine Art Gefangenschaft mit sich selbst gesetzt werden, aber eben dadurch zu einem Fortschritt in ihren Beziehungen aufgefordert werden. Trient in Oberitalien ist kein zufälliger Ort; wenigstens nicht für den Mann, der aus diesem Land stammt, jetzt aber durchfahren wollte und gestoppt wurde. Nach dem ersten Schock finden sich die beiden in einem kleinen Hotel in Trient wieder.

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