AUFM PLATZ : Wo der Libero noch lebt
BRASILIEN Trotz eines veralteten Defensivsystems gehört Brasilien zu den Favoriten dieser WM. Wie kann das sein?
Ein Grinsen huschte über das Gesicht von Australiens Trainer Tom Sermanni, als er auf die wenig zeitgemäße taktische Abwehrformation – Dreierkette mit Libero –seines brasilianischen Kollegen Kleiton Lima angesprochen wurde. Aber anders als der fragende Journalist enthielt sich der freundliche Schotte jeglichen Spottes. Er sagte: „Es ist wirklich ein sehr ungewöhnliches System im modernen Fußball“, sagt er, „aber sie haben auch schon bei der WM 2007 so gespielt.“
Vor vier Jahren betreute Kleiton die Seleção Feminina zwar noch nicht, doch nun hält der mit 37 Jahren jüngste Trainer dieses Turniers eisern an diesem vorgestrigen Modell fest.
Der wichtigste Nachteil dieses Systems: Die Dreierkette kann sich nicht im Spiel nach vorne einbringen, weil sonst zu viele Räume entstehen, die das gegnerische Team ausnutzen könnte. Besonders wirkt sich dies auf die Außenbahnen aus.
Die modernen Spielsysteme unterscheiden sich im Mittelfeld und im Angriff, die Viererkette in der Defensive aber ist inzwischen Standard – bei den Männern wie bei den Frauen.
Warum gilt dann ein Team, das nicht nur in der Defensive modernen Ansprüchen nicht genügt, sondern auch nach vorne ohne erkennbaren Plan agiert, bei dieser WM als Favorit? Weil das Leistungsgefälle im Frauenfußball weiterhin so groß ist, dass die individuelle Klasse der Brasilianerinnen die taktischen Defizite des Teams wettmacht. Ohne Gegentor blieb Braslien nur, weil die Australierinnen ihre Chancen nicht nutzten.
Dass seine Aufstellung Fragen aufwerfen würde, damit habe er gerechnet, sagte Kleiton. Eine Erklärung hatte er parat: „Wir haben in Brasilien nicht so viele Fußballerinnen. Da sind keine geeigneten für die Außenpositionen dabei.“ Eine abenteuerliche Begründung. Schließlich spielt selbst das kleine Äquatorialguinea mit einer Viererabwehrkette.
Ein klein wenig innovativ ist Kleiton bei seinem antiquierten Abwehrmodell dann doch gewesen. Er setzt hinten nicht auf eine feste letzte Frau. Daiane, Aline und Erika nahmen diese Position alternierend ein. Stabiler hat das seine Defensive aber auch nicht gemacht. JOHANNES KOPP