AUCH DÄNEMARK UND SCHWEDEN WOLLEN DIE EU-VERFASSUNG NICHT MEHR : Zuhören statt marschieren
Die traditionellen EU-Zweifler aus dem Norden Europas sind noch vor dem EU-Gipfel aus der Kolonne ausgeschert. Und einen Weg zurück in die Marschordnung gibt es nicht: Mit ihrem lauten Nachdenken über eine einseitige Aussetzung des Ratifizierungsprozesses haben sich die Regierungen in Kopenhagen und Stockholm selbst mögliche Auswege versperrt, etwa den, nach dem Gipfel am nächsten Wochenende mit irgendeinem windigen Kompromiss nach Hause zu kommen. Damit werden sie das EU-übliche Weiterwursteln hoffentlich verhindern können.
Der Sonderweg Dänemarks und Schwedens unterscheidet sich von demjenigen Großbritanniens. Der Ratifizierungsprozess wird in beiden Ländern nicht etwa deshalb gestoppt, weil sich dort Niederlagen abzeichnen. In Schwedens Reichstag stand eine sichere Vierfünftelmehrheit bereit, den in Frankreich und den Niederlanden gescheiterten Text abzusegnen. Die Begründung von Schwedens Regierungschef Göran Persson sollte nicht nur vorbildhaft in Skandinavien sein: Man müsse den Menschen klar machen, dass man auf sie höre. Perssons Landsfrau in der EU-Kommission, die für die PR-Arbeit zuständige und damit eigentlich zu den Anführern der Kolonne gehörige Margot Wallström, hatte es vor einigen Tagen ganz ähnlich formuliert: Das Zuhören sei der EU bisher misslungen.
Zuhören heißt eben das Gegenteil von „Augen zu und durch“. Die EU steht an einem Scheideweg: Entweder entwickelt sich die Union zur stärker nationalstaatlich geprägten Zusammenarbeit, oder sie findet zu einem Neuanfang. Keine Illusionen: Die Stellungnahmen aus Dänemark und Schweden erlauben beides. Eine Linke, die auf ein demokratischeres, soziales Europa setzt, das von logisch aufgebauten und demokratisch legitimierten Organen gelenkt wird, wird bei den Regierungen in Stockholm und erst recht in Kopenhagen nicht auf viele Freunde stoßen. Zur Klage besteht kein Anlass. Wer jetzt das Wort von den „Dolchen aus dem Norden“ benutzt, muss ergänzen,wen sie treffen: eine Leiche. REINHARD WOLFF