piwik no script img

ARD-Tatort aus MünchenEros-Center mit Retro-Schick

Skandal im Sperrbezirk: Der "Tatort" aus dem bayerischen Rotlichtmilieu taucht ein in die 60er Jahre und zeigt eine selig saubere Stadt. ("Der oide Depp", So., 20.15 Uhr, ARD)

Es lebe die Rückblende. Bild: br/tv60/julia von vietinghoff

Sie nennen ihn "Opa Sirsch". Zum Dienst bringt er sich immer ein paar Flaschen Bier mit, manchmal schläft er über der Recherche am Bürotisch ein, E-Mails hat er in seiner Laufbahn angeblich noch nicht geschrieben. Als die Kollegen im Laufe der Ermittlungen darüber nachdenken, bei einem Verdächtigen heimlich einen genetischen Fingerabdruck zu nehmen, murrt Sirsch: "Ja, glaubt ihr denn, dass der euch ins Reagenzglas wichst?" Dass zur DNA-Analyse schon ein einzelnes Haar reicht, ist neu für den Alten.

Klar, so einen wie den Sirsch unterschätzt man leicht. So auch die Kommissare Leitmayr (Udo Wachtveitl) und Batic (Miroslav Nemec), die mit dem Zausel einen ungelösten Mordfall aus den Sechzigern bearbeiten müssen. Damals war eine junge Prostituierte in ihrer Wohnung umgebracht worden, im Verdacht stand auch der aufstrebende Bordellbesitzer Robert "Roy" Esslinger. Nun, über 40 Jahre später, findet man bei einer Polizeikontrolle im Auto des inzwischen herzkranken, aber immer noch hartgesottenen Rotlichtaggressors (Jörg Hube) auf einmal die Tatwaffe.

In formvollendeten schwarz-weißen Rückblenden erzählt Regisseur Michael Gutmann (der sich vor allem mit seinen Skripts zu Hans-Christian Schmids "Lichter" und "23" einen Namen gemacht hat) aus der "guten alten Zeit", als das horizontale Gewerbe in München noch ohne eindeutige Leuchtreklame auskommen musste - und trotzdem brummte. Damals klang ein Wort wie "Eros-Center" wie das Versprechen aus einer sexuell befreiten und ökonomisch noch viel einträglicheren Zukunft. Die Gesetze wurden tatsächlich lockerer, die Geschäfte mit der Lust mussten nicht mehr im Verborgenen abgewickelt werden. Bald waren Unternehmertypen und Rotlichtvisionäre wie Esslinger, der der bayerischen Metropole schließlich in den Siebzigern ihre ersten Laufhäuser und Wichskabinen schenkte. Im Film wird einmal ehrfürchtig geraunt: "Der Mann ist ein Stück Puffgeschichte."

Milieubesichtigung, Mentalitätsgeschichte, Melodram: Mit dem Drehbuch von Alexander Adolph ("Kleine Schwester") gelingt es, das Täterrätsel mit seinem putzigen Retro-Chic und all den pittoresken Funkstreifenwagen Marke BMW 501 in ein Krimidrama mit doppeltem Boden zu verwandeln - und dabei auch noch einige bissige Reflexionen zum bajuwarischen Landeshauptstädtchen einzuflechten: So macht Bordellgroßwirt Esslinger in einer Rückblende dem zukünftigen Polizeipräsidenten klar, weshalb der in der Zukunft besser mit ihm kooperiere: "Es soll hier doch nicht enden wie auf St. Pauli", wo Ausländer die Macht zu übernehmen drohten und die Straßen voller Schmutz seien. Ach München, wie selig und sauber du doch strahlst!

CHRISTIAN BUSS

40.000 mal Danke!

40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen

0 Kommentare

  • Noch keine Kommentare vorhanden.
    Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!