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ARD-Film "Sie hat es verdient"Die Extremistin

In "Sie hat es verdient" spielt Liv Lisa Fries eine Mörderin und schont weder den Zuschauer noch sich selbst. Das hört auch nach Drehschluss nicht auf.

Opfer wird Täter: Linda (Liv Lisa Fries, links) macht die Gegend unsicher. Bild: © ARD Degeto/Hermann Ebling

BERLIN taz | Vor dem Café "Wohnzimmer" am Helmholtzplatz hat Liv Lisa Fries gerade noch zwei Freundinnen getroffen, die machen, womit 20-Jährige in Berlin-Prenzlauer Berg ganze Tage verbringen: Kaffee trinken. So sitzen sie dann da, bis es irgendwann ernst wird. Ein anderes Leben. Liv Lisa Fries dagegen ist als Schauspielerin so gut im Geschäft, dass der Regisseur Thomas Stiller glaubt, "dass Liv sich ihre Rollen in Zukunft wohl aussuchen kann."

Ganz uneigennützig ist dieses Lob nicht, hat Liv Lisa Fries doch mit Stiller das Jugendgewaltdrama "Sie hat es verdient" gedreht, das zwei Jahre nach den Dreharbeiten am Mittwoch endlich ausgestrahlt wird: Für ihre Darstellung der Linda, die eine Mitschülerin zu Tode quält, wurde Fries mit dem Günter-Strack-Nachwuchspreis ausgezeichnet - "eine besondere Form von Anerkennung, genau wie die Tatsache, dass ich immer wieder drehe". Dem eigenen Erfolg misstraut sie noch.

Aber Druck? Nee, unter Druck setze sie der Preis kaum, "das erledige ich selbst: Den Anspruch, immer besser werden zu wollen, habe ich aus mir selbst heraus. Das wurde mir so anerzogen. Manchmal wäre ich gern gelassener." Fries brennt so für ihren Beruf, dass sie manchmal gelöscht werden muss. "Ich mag es sehr gern, ans Limit zu gehen und darüber hinaus", sagt sie. 2006 debütierte sie in "Schimanski" und war seitdem in "Die Welle" und "Bis aufs Blut" zu sehen.

"Alter Schwede"

Ihren Eifer bestätigt auch Regisseur Stiller ("Zwölf Winter"): "Liv stellt ihr Ego hinter die Figur zurück und gibt immer 100 Prozent - auch 20-mal hintereinander." In Verbindung mit dem "absolut direkten Zugang zu ihren emotionalen Ressourcen" mache das ihre Klasse aus, sagt Stiller und vergleicht sie mit Jürgen Vogel. "Alter Schwede", würde Fries jetzt wohl sagen. Hier hieße es so viel wie: Uff, danke für die Blumen, aber geht's auch ne Nummer kleiner? Nein, derzeit nicht. Liv Lisa Fries ist der Branchendarling der Saison. Sogar Bild interessiert sich für die Frage, ob sie einen Freund hat.

Bestätigung ist Fries wichtig - aber in dieser Überdosis derzeit auch ein bisschen unheimlich.

Mit dem geballten Interesse an ihrer Person ist Liv das genaue Gegenteil ihrer Figur Linda, "die nur Aufmerksamkeit erfährt, wenn sie von ihrem Vater vergewaltigt wird", und es gerecht findet, "dass jemand unter ihr leidet, der vermeintlich alles hat, was sie sich wünscht". Harte Sätze, passend zu dem für öffentlich-rechtliche Verhältnisse krassen, nonlinear erzählten Film, der nur dank des Engagements von Veronica Ferres überhaupt gedreht werden konnte - wofür man deren grotesk deplatzierte Auftritte billigend in Kauf nimmt. "Und selbst nach Veronicas Zusage hat es noch drei Jahre gedauert, bis die Finanzierung stand", sagt Regisseur und Autor Stiller: "Ich musste mir anhören, dass mein Drehbuch ,pervers' sei. Genau wegen solcher Reaktionen musste ich den Film machen. Wir müssen akzeptieren, dass Gewalt Bestandteil unseres menschlichen Wesens ist."

Der Druck lässt nie nach

Auch die Zusammenarbeit mit Liv Lisa Fries war nicht frei von - psychischer - Gewalt: Am letzten Drehtag, als die Last der Rolle von ihr abfiel, habe sie sich nichts sehnlicher gewünscht als endlich eine Umarmung von Regisseur Stiller, erzählt Fries. "Wahnsinnig isoliert" habe sie sich als Linda gefühlt - nebenbei machte sie ihr Abi -, diese Einsamkeit aber auch forciert: "Ich habe auch die Angebote meiner Mutter, mich in den Arm zu nehmen, ausgeschlagen. Der Anspruch an mich war, das allein bis zum Letzten durchzuziehen."

Da ist sie wieder, diese Kompromisslosigkeit und Härte, in der Liv der Figur Linda ähnelt. Das geht so weit, dass Fries damit hadert, dass sie die Rolle mittlerweile anders spielen würde. Der Druck lässt nie nach.

Als auf dem Drehabschlussfest "I'm Still Standing" lief, hatte Liv Lisa Fries das Gefühl, dass Elton John nur für sie singt: "Ich dachte mir, alter Schwede, ja, stimmt, ich stehe noch." Und für einen kurzen Moment klingt sie - ja, stolz. Schon vorbei.

"Ich bin mir nicht wirklich sicher, ob ich so stark bin, wie alle immer glauben", sagt Liv Lisa Fries zum Abschied. Und fährt zum Kochen, wie eine ganz normale 20-Jährige. Nach einem halben Jahr in ihrer Pankower WG schaffen sie es zum ersten Mal.

"Sie hat es verdient", Mittwoch, 14. September, 20.15 Uhr ARD

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15 Kommentare

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  • F
    fehlgeleitet

    die verteufelung der jugend - wie in dem hier kurz besprochenem film - verdeutlicht für jeden der sehen will, wo sich unsere the-german-angst-gesellschaft hin entwickelt: back to the fiftees. ganz und gar nicht originell.

     

    die kids von heute können einen bei den heutigen pathologisierungsbestrebungen ihrers so-seins (als reaktion auf eine beschädigte, verlogene erwachsenenwelt) leid tun, sie scheinen (!) einer self-fulfilling prophecy gleich zu kommen.

     

    ja klar, ist die norm: brutale jugendliche mit einem unbedingten vernichtungswillen gegen gleichaltrige - diese einschätzung kann betrachtet werden als stigmatisierung einer ganzen bevölkerungsgruppe übelster sorte. wer und was spricht eigentlich noch für sie, die jugendlichen, für deren entwicklung verdammt nochmal die erwachsenen, auch die meinungsmacher und -führer, wie zb filmemacher, verantwortlch sind?

  • TN
    Tanja N.

    Guter Film, der sich offensichtlich (und leider) nur an einen Teil der Bevölkerung richtet-der, der nachdenkt, zuhört & ebenso den Mund aufmacht.

     

    Warum sollte die Wahrheit erst nach 23 Uhr gezeigt werden oder mit dem Hinweis: "Unter 16 Jahren nicht geeignet!"?

     

    Völliger Unsinn, wo doch heute schon 12-jährige regelmäßig Alkohol trinken, Sex haben oder zur Unterhaltung andere Jugendliche "klatschen gehen". DAS ist die Realität...

     

     

    Frau Ferres brachte das Gute, welches heutzutage vernichtet & ausgeschaltet werden muss, äußerst gut rüber.

     

    Für die gesamte Crew des Films: DAUMEN HOCH!

     

     

     

    Danke

  • R
    ragad

    Dieser Film straft all diejenigen Lügen, die behaupten, im Fernsehen mache nur Unterschichten-Verblödung Quote.

    Aber als wäre Qualität den ARD-Verantwortlichen peinlich, wird der Zuschauer von der Faust der öffentlich-rechtlichen Unkultur getroffen. Während Mensch noch dabei ist, den Film zu verarbeiten, mental noch der Abspann vermutet, springt den Zuschauer ein schreiender Dämlack mit (Menschen-?)Knochen in der Hand an und macht Werbung für den üblichen gebührenfianzierten Schwachsinn. Die erste Reihe hat einen wieder. Schnellscnell ausschalten.

  • G
    Gerhard

    Ich tendiere sehr zum Kommentarinhalt von Nicole. Ich finde es höchst befremdlich (um das Wort pervers zu vermeiden), dass ein solcher (auch psychisch) brutaler Film zur Prime-Time (wohl wegen des Staraufgebotes und der Marktanteile wegen) OHNE WARNHINWEISE auf ein empfohlenes Mindestalter für Jugendliche gesendet wird. Wenn am Samstagabend um 23 Uhr ein drittklassiger amerikanischer, französischer oder britischer Kriminalfilm aus den 60ern, 70ern oder 80ern gesendet wird, in dem die Akteure wild um sich schiessen, so dass einem sechsjährigen klar ist, dass es nicht real sein kann, kommt im Vorspann der Hinweis "dieser Film ist für Jugendliche unter 16 Jahren nicht geeignet". Tolle Doppelmoral. Es gibt sooo viele Jugendgangs in Deutschland. Wenn nur ein Nachahmer sich (den zweifelhaften) Mut fasst und nur ansatzweise solches Gedankengut sich einverleibt, ist hinterher das Geschrei und der daraus resultierende Aktivismus (oder Populismus??) groß!!

    Scheinheiliges Deutschland!!

  • B
    Birgitta

    leider war der Ton so schlecht abgemischt, dass ich den Fiilm nur mit Untertiteln verstehen konnte. Schade.

  • JC
    Johnny Cynic

    Jawohl, da treffen sich die nach Betroffenheit gierenden Gutmenschen und streiten ob der Film nun "präventiv" oder "Gewalt erzeugend" ist.

    Dabei ist die scheuklappenbehängte F.D.G. der "29-59" Zielgruppe und Publikum, nicht die Jugendlichen.

    Und als Unterhaltungsfilm für emotionale Lepröse hat er keinen besonderen Tiefgang ausser dass er Euch den ersehnten wohligen Schauer der "Betroffenheit" über den Rücken jagt.

    In jeder Schule, in jedem Freizeitheim laufen ähnliche Dinge allerdings ohne Todesopfer ab. Die im Film nur oberflächlich bearbeitete Thematik "Mutter setzt sich mit dem Mord an der Tochter auseinander" hat der Film bitter nötig, um die apathischen "Erwachsenen" vor dem Fernseher wenigstens emotional anzusprechen.

    Dabei ist unter Jugendlichen Aggro schon Alltag.

    Neulich hielt ich einen Punk fest der einen dieser blöden Poser (mit Migrationshintergrund) auf einer Treppe ein paar Ohrfeigen verpassen wollte. Hätte ich statt dessen weiter mein Bier getrunken gäbe es vielleicht bald einen dieser Emoflime "nach einer wahren Begebenheit".

  • G
    grafinger

    Man könnte fast meinen David Denk hat die gelobhudelte Schauspielerin gar nicht getroffen und weis deshalb auch nicht wie sie aussieht.

    Da hätte die Suche bei Google sicher Abhilfe geschaffen.

    Oder er kann rechts von links nicht Unterscheiden. Mama wird ihm dann sicher bunte Sticker auf die Schuhe kleben.

    Oder die Redaktion ist genau so nachlässig in ihrer Arbeit wie der Autor beim Erstellen des Textes.

  • S
    Siegie

    Sie hat es verdient, wenigstens auch erwähnt zu werden: Saskia Schindler hiess die Darstellerin des Opfers Susanne.

     

    Damit wären wir auch schon bei der Frage nach der Notwendigkeit, über die Schauspielerin zu schreiben, die zur Zeit ohnehin im Fokus zu sein scheint. Oder maskiert sich mit der Betrachtung der Darstellerin auch hier die Täter-zentrierte Sicht so mancher Untat, wie wir sie im wahren Leben in den Gerichtsverhandlungen auch sehen? Der Film befasste sie ja überwiegend mit der Sicht auf die Täterin.

  • IF
    immer feste druff

    """Und selbst nach Veronicas Zusage hat es noch drei Jahre gedauert, bis die Finanzierung stand", sagt Regisseur und Autor Stiller: "Ich musste mir anhören, dass mein Drehbuch ,pervers' sei. Genau wegen solcher Reaktionen musste ich den Film machen. Wir müssen akzeptieren, dass Gewalt Bestandteil unseres menschlichen Wesens ist.""

     

    gewalt als "Bestandteil unserers menschlichen Wesens" kennt viele ausdrucksformen. im film sehen wir die roheste, widerlichste, spektakulärste in form von physischer folter: sinnlos, sadistisch unmotiviert im polymorphperversen sinne. so ein schrott. der film will uns weismachen, dass jugendliche im postindustriellen zeitalter von unbezwingbaren finstersten dämonen beherrscht sind - was tatsächlich ja wohl vielmehr für den regisseur und autor stiller zu gelten scheint.

  • U
    Ute

    @Toby. Dass sagen Sie ohne den Film überhaupt gesehen zu haben! Anschauen und erst dann meckern(oder dann eben doch nicht mehr).

  • N
    Nicole

    Wie verroht soll die Menschheit eigentlich noch werden bzw. wird sie durch genau diese Art von Filmen ? Zig Nachahmer aufgrund von im TV gezeigten Szenen gab es bereits in den letzten Jahren. Ich wünschte mir es gäbe endlich eine zentrale Stelle die solche Filme dorthin packt wo sie hingehören, auf den Müll. Die ARD ist untragbar langsam und jeden Cent an Fernsehgebühren sollte man lieber durch den Schornstein jagen statt sich diese kranken Filme anzuschauen. Gibt es denn gar keine anderen Themen mehr als Gewalt, Totschlag und Frustration ?

  • H
    hero333

    Danke für diesen Film.

    Ich denke der wird für diese gewaltbereite Generation noch ein sehr wichtiges Erbe sein. Vielleicht wird er ja eines Tages als Prävention eingesetzt um zu zeigen wie weit Neid und Hass gehen können...

     

    Danke an den Regisseur, den Autor, die Investoren, und die Schauspieler! Der Film macht betroffen!

  • K
    Kristof

    Nebenbei bemerkt ist es ziemlich blöd bei einem solchen Artikel das Bild falsch zu beschriften - Liv Lisa Fries ist NICHT rechts, sondern links im Bild.

  • A
    Anja

    Nur kurze Anmerkung zum Bild:

    die gelobte Liv Lisa Fries steht links, rechts ist Sina Tkotsch. (Welche sicherlich auch sehr gut ist, aber bei solch einem Loblied, auf ein noch ziemlich neues Gesicht, sollte ebenjenes auch richtig beschriftet sein.)

  • T
    Toby

    "wie eine ganz normale 20-Jährige"

    Ja, zum Teufel, was soll sie denn auch sonst sein? Scheint ihr die Sonne aus dem A....? Geht sie über Wasser?

    Purer Narzismus, hofiert von einem vollkommen überflüssigen Werbetext in einer Tageszeitung, die ich bislang nicht für die TV-Movie hielt.