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ARD-Doku"Es wurde viel getrunken damals"

Kommentar von Jörg Magenau

In der ARD-Dokumentation "Vom Glanz und Vergehen der Gruppe 47" erinnern sich Schriftsteller an ihre Zeit im legendären Autorenkreis.

Heute schwer vorstellbar: Walser und Grass als Mitglieder der gleichen Gruppe. Bild: dpa

D ie Gruppe 47 gibt es schon lange nicht mehr, aber deshalb ist sie noch lange nicht tot. Auch der 60. Jahrestag ihrer Gründung bot wieder einmal Anlass für allerlei Erinnerungsartikel. Nachdem in den vergangenen Jahren in eifernder Erregung vorzugsweise über den angeblichen Antisemitismus der Gruppe gestritten wurde, hat der Ton sich wieder etwas beruhigt. "Vom Glanz und Vergehen der Gruppe 47" heißt ein Film von Andreas Ammer, der am Sonntagabend die Buchmessenberichterstattung in der ARD abschließt.

Schon diese Platzierung zeigt, warum die historisch gewordene Schriftstellerzusammenkunft nicht vergehen kann: Sie ist nicht nur ein Gründungsmythos der Wirtschaftswunder-Bundesrepublik, die dadurch auch wieder Kulturnation werden konnte. Noch viel mehr ist sie ein Sehnsuchtsbild der literarischen Innung, das den Schriftstellerberuf mit einer inzwischen verloren gegangenen Bedeutung auflädt und eine Übersichtlichkeit verspricht, die der Literaturmarkt heute nicht mehr bieten kann. Die Gruppe 47 stellte konzentrierte Öffentlichkeit dar - bis sie als Freundschaftsbund unter Leitung von Hans Werner Richter der eigenen Größe und Bedeutung nicht mehr gewachsen war.

Der Ärger darüber ist Maxim Biller anzumerken. Wenn er von der kriegserprobten "Männergruppe" spricht, deren Mitglieder "weitermarschieren" mussten, weil sie es so gewohnt waren, ist der Neid herauszuhören, weil es ähnlich werbewirksame Zusammenkünfte heute nicht mehr gibt. Wer dazugehörte, gehört zum Kanon der bundesdeutschen Literatur, und wer wie Peter Handke 1966 seinen Auftritt nutzte, um die vorherrschende "läppische Literatur" und die genauso "läppische Kritik" anzuprangern, konnte auch mit dieser Negation eine Karriere begründen. Allerdings musste, wer dort las, auf dem "elektrischen Stuhl" Platz nehmen und bereit sein, ein enormes Risiko einzugehen. "Es ging um Sein oder Nichtsein, in drastischer Form", sagt Dieter Wellershoff. Es wurde "viel, sehr viel getrunken", erinnert sich Gabriele Wohmann geradezu schmerzlich.

Es wäre interessant gewesen, mehr und vielfältigere Stimmen jüngerer Autoren über diese Frühgeschichte bundesdeutscher Literatur zu hören. Biller ist der Einzige. Andreas Ammer konzentriert sich in seinen Interviews auf die Veteranen: Günther Grass, Joachim Kaiser, Walter Jens, Michael Krüger, Jürgen Becker und Alexander Kluge. Dazwischen montiert er bekannte Film-, Foto- und Tonaufnahmen. Dass die Dokumentation dennoch temporeich wirkt, liegt an der Präsentationsform, die Ammer auch in der ARD-Büchersendung "Druckfrisch" anwendet: Er liebt es, die technische Inszenierung, Kulissen, Kabel und Kameras mitzuzeigen, um so das Theatralische der künstlichen Gesprächssituation deutlich zu machen. Wer heute auf dem "elektrischen Stuhl" sitzt, gibt ein Fernsehinterview.

Inhaltlich orientiert er sich an den üblichen, fast schon legendenhaften Details: von den Fischen aus dem Bannwaldsee, mit denen die "siebzehn ausgemergelten Gestalten" des ersten Treffens im Jahr 1947 bekocht wurden, bis zu den Studenten des SDS in der Pulvermühle 1967, die in den ihrem Selbstverständnis nach linken Schriftstellern nur noch "Papiertiger" sehen wollten. Auch dem Antisemitismusvorwurf geht Ammer im Gespräch mit dem Germanisten Klaus Briegleb nach. Dass Paul Celan durchfiel, als er die "Todesfuge" las, erklären Wellershoff, Jens und Grass jedoch mit der pathetischen Art seines Vortrags - als "müsste man Kerzen dazu aufstellen", sagt Grass. Die Bilder vom feierlich deklamierenden Celan stützen diese Sichtweise.

"Vom Glanz und Vergehen der Gruppe 47", Sonntag, 23.30 Uhr, ARD

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