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Archiv-Artikel

ARBEITSMARKTZAHLEN: EIN AUSBLICK AUF DIE WELT DER PATCHWORKER Abstieg als kollektives Schicksal

Man hätte es sich denken können, trotzdem sind die Daten beeindruckend: Die Zahl der sozialversicherungspflichtigen Jobs geht zurück. Dafür gibt es mehr Minijobs und kleine Selbstständige, die versuchen, sich mit Hilfe des Arbeitsamtes eine Existenz aufzubauen. Diesen Wandel auf dem Arbeitsmarkt können nur durchgedrehte Neoliberale als „Schritt zu mehr Eigenverantwortung“ und zu „höherer Flexibilität“ in der Gesellschaft loben. Wer sich der Wirklichkeit nicht verweigert, muss erkennen, dass die Veränderungen nichts mit freien Entscheidungen oder neuer Vielfalt an Optionen zu tun hat, sondern der subjektiven blanken Not der Betroffenen und dem Kostendenken der Unternehmen geschuldet ist – und keineswegs die Wirtschaftsleistung steigert, sondern am Ende sogar Ressourcen untergräbt und verschwendet.

Stichwort Minijobs: Es ist tatsächlich so gekommen, wie es linke Kritiker immer vorhergesagt haben. Die Minijobs verdrängen sozialversicherungspflichtige Arbeitsstellen. Das nützt erstens den Erwerbslosen wenig, weil die Minijobs für sie uninteressant sind, und untergräbt zweitens die Einnahmesituation der Renten- und Krankenkassen.

Stichwort Ich-AGs: Der Boom bei den kleinen Selbstständigen ist keine Entwicklung, die die Produktivität in Deutschland steigern wird. Selbstständige tragen bekanntlich selbst das gesamte Risiko ihres Unternehmens. Nicht jeder Mensch hat die Fähigkeit, sich als Einzelner mit seiner Leistung zu vermarkten. Viele wären mit ihren Begabungen besser als Teil eines Teams in einem Betrieb aufgehoben. Der Boom der „Kleinunternehmer aus Not“ ist auch eine Verschwendung von Ressourcen.

Einen Vorteil allerdings hat die Entwicklung – der Begriff der „Eigenverantwortung“ ist tot, jedenfalls in der alten Form. Und das ist gut. Wenn nämlich immer mehr Menschen künftig das gleiche Schicksal erleben, in einer nicht mehr planbaren Erwerbsbiografie mit Jobverlusten und Firmenpleiten durchhalten zu müssen, dann muss sich niemand mehr im Scheitern alleine und als Versager fühlen. Abstiegserfahrungen werden zum kollektiven Schicksal. Und Überleben wird zum Sieg. Das kann auch trösten. Ein bisschen.

BARBARA DRIBBUSCH