ARBEITSLOSIGKEIT: DEUTSCHLAND MUSS SICH MIT DEN SCHLECHTEN MESSEN: Neues Selbstbild gesucht
Arbeitsmarktstatistiken sind eine relative Angelegenheit. Die Arbeitslosenzahlen liegen über 4 Millionen, also habe die Schröder-Regierung versagt, verkündet Stoiber. SPD-Sozialminister Riester hingegen vergleicht die neueste Statistik mit den Zahlen unter der Kohl-Regierung. Im August 1998 waren 77.000 Menschen mehr arbeitslos gemeldet als im August 2002. Wenn schon 2 Prozent weniger politisch ausgeschlachtet werden, ahnt man schon, was verschwiegen wird: Die Frage nämlich, an welches Arbeitslosenniveau wir uns hierzulande für die nächsten Jahre gewöhnen müssen. Doch statt sich diese Frage zu stellen, übt sich die Politik in Zweckoptimismus.
Sicher muss die Regierung auch deswegen weiter auf eine Senkung auf 3,5 Millionen Arbeitslose hoffen, weil sonst die Finanzierung der Sozialkassen gefährdet ist. Aber darüber hinaus gibt es auch ein Problem mit dem deutschen Selbstbild, in das eine dauerhaft hohe Arbeitslosigkeit nicht passt. Nur so ist zu erklären, dass sich auch Konzeptbegründer Peter Hartz dazu hat hinreißen lassen, eine Minderung der Arbeitslosenzahl um 2 Millionen anzukündigen. Wer sich nur allein die Spätfolgen der Wiedervereinigung vor Augen führt, weiß, dass ein solches Versprechen unhaltbar ist.
Im TV-Duell mit Stoiber hat Schröder erstmals auf die Arbeitslosenquote in Spanien hingewiesen, um damit zu zeigen, dass Deutschland doch gar nicht so schlecht dastehe. In Spanien, Frankreich und Italien sind die Arbeitslosenquoten höher als hierzulande. Deutschland wird sich künftig öfter mal „nach unten“ vergleichen müssen, auch wenn das nicht ins Selbstbild eines Staates passt, der so stolz darauf war, eine starke Wirtschaftskraft mit hoher sozialer Sicherung verbinden zu können. Doch niemals gab es eine Garantie dafür, dass das immer so weiter geht. Die Kränkung, im internationalen Wirtschaftsranking abgesackt zu sein, muss man verkraften. Alle Reformen können nur darauf ausgerichtet sein, ein noch stärkeres Abrutschen zu vermeiden. Mehr ist erst mal nicht drin. Aber so deutlich wagt das kaum einer zu sagen.
BARBARA DRIBBUSCH
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