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ARBEITSLOSENZAHLEN GEBEN THIERSE RECHT: OSTDEUTSCHLAND STAGNIERTImmer schön sachlich bleiben

Gut platziert, Herr Thierse, könnte man angesichts der gestern veröffentlichten Arbeitsmarktdaten meinen. Letzte Woche war Thierses Analyse der wirtschaftlichen und mentalen Situation in Ostdeutschland publik geworden, die eigentlich für den parteiinternen Gebrauch bestimmt war. Quintessenz des Papiers: Der Osten steht auf der Kippe. Eindrucksvoll untermauerte gestern die Bundesanstalt für Arbeit diese Analyse: Dank des konjunkturellen Aufschwungs entwickelte sich der Arbeitsmarkt im Jahr 2000 überaus gut – allerdings nur im Westen. Während dort die Arbeitslosenquote im Jahresverlauf um 1,2 Prozent zurückging, waren im Osten genauso viel Menschen arbeitslos wie ein Jahr davor.

Was haben sie gekeift, die Kritiker. Thierses Beobachtung einer anhaltenden Stragnation nannte Kajo Schommer (CDU) „nicht nachvollziehbar“. Stattdessen fuchtelt Sachsens Wirtschaftsminister mit Worten wie „Wachstum“ und „dynamisch“. Recht hat er: In Sachsen wuchs im letzten Jahr die Arbeitslosigkeit dynamisch. Um 2,8 Prozent, wie die Bundesanstalt meldet. „Unverantwortlich“, beschimpfte Eberhard Diepgen Thierses Thesen. Wer die Situation so schwarz sähe, habe die Entwicklung der vergangenen Jahre verschlafen. Recht hat er, der Regierende Bürgermeister: Die Berliner Quote bei den Arbeitslosen sank im Jahresverlauf 2000 um sagenhafte 0,5 Prozent – welch rosiger Erfolg. Und Rolf Schwanitz findet die Thesen „überzogen“. Recht hat er, der Staatsminister Aufbau Ost. Ist ja auch irgendwie übertrieben zu hoffen, dass es unter Schröder so viele ABM-Jobs geben könnte wie noch zu Zeiten Kohls – heute, wo der Aufbau Ost „Chefsache“ ist.

Thierses Analyse verdient diese Polemik nicht. Der Bundestagspräsident legte nichts anderes vor als eine nüchterne, mit Wirtschaftsdaten belegte Bestandsaufnahme – in etwa so wie die führenden Wirtschaftsinstitute im März vergangenen Jahres. Westsachsen, Dresden, Teile Thüringens oder der Großraum Berlin – dass Thierse nicht auf die positiven Beispiele verweist, die es im Osten auch gibt, liegt an der ursprünglich parteiinternen Bestimmung des Papiers. Thierse will verhindern, dass die SPD das Thema Ostdeutschland auf der politischen Agenda nach unten durchreicht. Schönfärberei führt dazu, dass beim Solidarpakt II ein Ergebnis erzielt wird, das Deutschland weiter spaltet statt vereint. Die Verhandlungen müssen von der Erkenntnis geleitet werden, dass Ostdeutschland und Massenarbeitslosigkeit absehbar dialektisch miteinander verbunden sind. Ändern kann das nur, wer diesen Fakt eingesteht. NICK REIMER

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