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Archiv-Artikel

ARBEITGEBER WOLLEN TARIFKAMPF OHNE BESCHLUSS AUSSITZEN Auch für Politiker gelten Regeln

Schon Kinder lernen, dass bei Zweikämpfen bestimmte Regeln gelten. Und dass derjenige, der unfair kämpft und damit den Gegner in die Knie zwingt, zwar einen momentanen Sieg erringen mag, sich aber außerhalb der Gemeinschaft stellt, weil er die Regeln eigenmächtig umdefiniert hat.

Das gilt auch für Arbeitskämpfe; auch dabei wird immer Grundsätzliches mitverhandelt. Etwa die Frage: Wie mächtig sind die Gewerkschaften noch? Wie stark darf man sie in die Knie zwingen? Gibt es noch eine Gesellschaft, die das Einhalten der Regeln erzwingt? Im Arbeitskampf um die 38,5-Stunden-Woche könnte jetzt die Grenze zur Demütigung überschritten werden, wenn sich der Vorsitzende der Tarifgemeinschaft der Länder und niedersächsische Finanzminister, Hartmut Möllring (CDU), mit seinen Vorstellungen durchsetzt.

Möllring hält einen „tariflosen Zustand“ im öffentlichen Dienst der Länder für denkbar. Dabei wird den Neubeschäftigten eine längere Arbeitszeit auferlegt als den Alt-Bediensteten, für die weiterhin der – gekündigte – Tarifvertrag und deswegen die 38,5-Stunden-Woche mit sogenannter Nachwirkung gilt. Ein solch „tarifloser“ Zustand herrscht schon bei den Landesunternehmen und bedeutet bereits jetzt die schrittweise Entmachtung der Gewerkschaften. Den Streik der Landesbediensteten gegen diese Zustände spüren die Bürger jedoch kaum. Schließlich wird an den Universitätskliniken aus Verantwortung für die Patienten immer nur punktuell gestreikt. Wird der Arbeitskampf dort ausgeweitet, beklagt die Boulevardpresse sofort die vielen leidenden Kranken, die wegen des Ausstandes nicht operiert werden können. Ver.di steckt streiktechnisch in der Falle.

Das auszunützen und die Gewerkschaften auflaufen zu lassen, ist ein Versuch, die politischen Gewichte ganz grundsätzlich zu verschieben. Das aber könnte nach hinten losgehen. Gerade heute hängen Beschäftigte und WählerInnen vielleicht doch mehr an ihren Gewerkschaften, als ein CDU-Landesminister sich das vorstellt. Auch Politiker können die Regeln nicht neu bestimmen. Erst recht nicht in unsicheren Zeiten. BARBARA DRIBBUSCH