ANNA LEHMANN ÜBER DIE VERTANE CHANCE DES G8 : Sieg der Gymnasiallobby
Die letzten doppelten Abiturjahrgänge rücken gerade noch in die Hochschulen ein, da ist das in den 2000er Jahren flächendeckend eingeführte achtjährige Abitur – G8 – schon wieder ein Auslaufmodell. Denn nach Hessen, Baden-Württemberg, NRW und Schleswig-Holstein kehrt auch Niedersachsen zum Abitur nach neun Jahren – G9 – zurück. Es ist nur eine Frage der Zeit, dass Bayern und die Stadtstaaten Berlin und Hamburg folgen. Und so berechtigt die Kritik am G8 ist – mit der eiligen Wiederverlängerung wurde die Chance vertan, das Gymnasium zu reformieren.
Einst gab es viele gute Argumente gegen die Verkürzung der Gymnasialzeit um eins auf acht Jahre. Aus ökonomischen und nicht etwa pädagogischen Gründen kürzten Kultusminister ein Jahr Schulzeit weg und setzten das nach überstürzter Einführung auch noch stümperhaft um. Als sich dann ein Talkshowmoderator darüber beschwerte, dass sein Kind immer später nach Hause komme, setzte die große Empörung ein.
Doch viele Schulen machten aus der Not eine Tugend – Gymnasien wurden im Handstreich zu Ganztagsschulen, bauten Kantinen an und Stundenpläne um. Lehrpläne wurden entrümpelt, man begann darüber nachzudenken, welchen Stoff Schule vermitteln sollte – und welchen nicht. Dank G8 konnten sich in allen Bundesländern neben den Gymnasien attraktive Gesamtschulmodelle entwickeln – die das Abitur nach Klasse 13 anbieten und dies mit ihrer heterogeneren Schülerschaft begründen.
Kein Wunder, dass die bundesweite Gymnasiallobby zuletzt immer lauter die Rückkehr zum G9 forderte. Die Volte der Kultusminister führt nun vielleicht dazu, dass die Gymnasiasten und deren Eltern erleichtert aufseufzen. Die überfällige Reform des Gymnasiums könnte jedoch im Ansatz steckenbleiben.
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