ANGESCHLOSSENE FAHRRÄDER, E-MAILS UND KINDERTRÄNEN : Jemand ist sehr, sehr traurig. Wegen mir
ANJA MAIER
Da hatte sich Jemand Mühe gemacht. Hat ein Zettelchen zur Hand genommen, einen Stift, hat sich hingesetzt und sich alles von der Seele gekritzelt. Dann hat Jemand sich das Büro-Tesa und eine Schere geschnappt und ist zum Fahrradständer am Bahnhof marschiert. Und als das eng bekritzelte Zettelchen mühsam mit mehreren Tesa-Streifen auf meinen Fahrradsattel appliziert war, hat Jemand wahrscheinlich noch ein bisschen geweint und hat sich dann nach Hause getrollt. Zu den Kindern.
Dies ist die Geschichte, wie ich selbst mal zur Zumutung wurde.
Das Wesen der gewöhnlichen Zumutung ist ja, dass man sie nicht selbst verursacht – sondern dass sie einem widerfährt. Gruselige Fahrkartenkontrolleure im Berliner Nahverkehr zum Beispiel sind eine Eins-a-Zumutung. Die sehen eher aus und riechen so, als bedürften sie des Bargeldes in meinem Portmonee und nicht der Monatskarte. Oder blutjunge BWL-Schnösel, die im ICE in ihrem widerlichen Näselton zum Besten geben, es käme bei Nahrungsmittelspekulationen ja wohl schon irgendwie darauf an, welche Nahrungsmittel verdealt würden.
Ich selbst wiederum wurde zur Zumutung, weil ich am Bahnhof mein Fahrrad angeschlossen und dabei dämlicherweise ein kleines blauweißes Damenrad mitverhaftet hatte. Das war am Dienstagabend. Am Mittwoch hatte ich frei.
Am Donnerstagmorgen dann fand ich die Zettel-Installation auf meinem Sattel vor.
„Würden Sie bitte endlich Ihr Fahrrad von meinem abschließen?“ lautete die Eingangsfrage. Ich nestelte hastig nach meinem Schlüssel und las weiter. „Wegen Ihnen muss ich nun seit mehreren Tagen vom Bahnhof zur Arbeit laufen. Und nicht nur das, ich komme deshalb auch noch zu spät an meinen Arbeitsplatz. Ganz besonders traurig finde ich, dass ich wegen Ihnen auch noch jeden Abend zu spät nach Hause komme zu meinen Kindern.“
Dienstag
Deniz Yücel
Besser
Mittwoch
Martin Reichert
Erwachsen
Donnerstag
Ambros Waibel
Blicke
Freitag
Michael Brake
Nullen und Einsen
Montag
Maik Söhler
Darum
Oh oh, das waren ja gleich drei Vorwürfe auf einmal. Vergebliches Gehen, verbunden mit unerfreulicher Verspätung sowie heißen Kindertränen. Und das alles binnen 36 Stunden. Schlimm.
Trotzdem war ich froh und dankbar, dass Jemand statt des Zettelchens, des Stifts und Tesa-Films nicht mit dem Bolzenschneider angerückt war. Entsprechend kratzfüßig verfasste ich meine Antwort auf der Zettelrückseite. „Oh, das tut mir leid“, schrieb ich. „Ich habe mich immer gefragt, wer so dämlich ist, ein fremdes Fahrrad anzuschließen. Jetzt bin ich selber so jemand. Deshalb: Danke für Ihre Geduld!“ Dann radelte ich frohgemut in die Redaktion. Kinder und deren verzweifelten Jemand glücklich zu machen kann so einfach sein. Auf dem Weg dorthin musste ich an all die Mails denken, die ich immer mal wieder im taz-Intranet lese. Dort wird schon mal mit oben erwähntem Bolzenschneider gedroht, der ohne weitere Vorwarnung zum Einsatz käme, sollte sich nicht auf der Stelle der oder die IdiotIn am Fahrradständer einfinden, um sein/ihr Fahrrad loszumachen. Sonst Bolzenschneider. Ach ja, die taz. Brutal, aber durchgegendert. Beim nächsten Mal vielleicht doch lieber Zettel, Stift und Tesa? Ich rate zu.