ANDREAS FANIZADEHLEUCHTEN DER MENSCHHEIT : Politisch korrekte Idyllen
Wenn Sie dann zu Ihrem Zelt zurückkehren, wird Ihnen die Szenerie unter tintenblauem Nachthimmel wie verzaubert erscheinen. Und Sie werden dankbar sein, dass der Blick über diesen riesigen See Ihnen ganz allein gehört.“ Zugegeben, das klingt kitschig. Aber kann man so ganz ohne Kitsch leben? Ich jedenfalls nicht. Um mich von Afghanistan/Wikileaks- oder Loveparade-Diskussionen zu erholen, blättere ich derzeit gerne in dem Freizeitband „Cool Camping. Europa. 80 sensationelle Plätze zum Zelten“ (Tolkemitt Verlag, Zweitausendeins, Berlin 2010). Dieses Werk vereint ästhetische mit grünen Bedürfnissen und ist stilistisch kaum spießig oder gar peinlich zu nennen.
Eher schon überraschend: Die Bilder von nachhaltig betriebenen und romantisch gelegenen Campingplätzen im Bayerischen Wald, in den Pyrenäen oder Walliser Alpen zeigen Orte, die sich zu entdecken lohnen. Auch wenn man, wie der Autor dieser Zeilen, bislang kein Camper ist. Doch kann die Investition in die richtige Reiselektüre (um nicht das gemeine Wort vom Ratgeber zu bemühen) mindestens so wichtig sein wie die anspruchsvolle, im Urlaub zu stemmende Bildungslektüre selbst. Die Zeiten, wo man mit Adornos „Ästhetischer Theorie“, aber ohne „Southamerican Handbook“ durch Südamerika reiste, gehören der Vergangenheit an.
Schöne Campingplätze liegen naturgemäß in landschaftlich attraktiven, oft auch extremeren oder abgeschiedeneren Regionen. Und sie werden in der Regel von Menschen betrieben, die im positiven Sinne doch etwas anders sind als die anderen. Meine Sache wäre es dabei sicher nicht, mich beim „Surfshanti“ in Portugal im Tipi einzuquartieren. „Cool Campen“, das birgt auch europäische Idyllen mit gar nicht mal so ungewöhnlichen Grillen: „Als ökologisch ausgerichtetes Unternehmen nimmt Surfshanti nicht mehr als zehn Gäste gleichzeitig auf. Die ‚Er-geht-surfen/sie-macht-Yoga‘-Konstellation erfreut sich besonderer Beliebtheit.“
■ Andreas Fanizadeh leitet das Kulturressort der taz. Foto: privat