ANDREAS FANIZADEH LEUCHTEN DER MENSCHHEIT : Großmeister Toni trifft die Badiou-Zwerge
Ganz Deutschland fiebert dem Achtelfinale gegen England entgegen. Ganz Deutschland? Nein, eine Schar wackerer Intellektueller trotzt Sonne, Wurst und Spielbetrieb und findet sich dieses Wochenende in den schattigen Gemäuern der Berliner Volksbühne ein. Auf dem Programm: statt Achtelfinale die „Idee des Kommunismus. Philosophie und Kunst“, Reden von Alan Badiou, Slavoj Žižek und – da wird es interessant – Toni Negri.
Was treibt Negri dazu, sich mit Badiou in Berlin (das Kommunismus-Ticket zu 55 Euro) im Theater zu präsentieren? Gut, beide sind in den 30er Jahren des letzten Jahrhunderts geboren. Und beide gelten so ziemlich als die letzten reisefähigen Philosophiegrößen der in die Jahre gekommenen Neuen Linken (1968 ff.). Doch damit hören die Gemeinsamkeiten auch schon auf. Wer will, möge an Negris Hauptwerk „Empire“ (Campus, 2002) und Alain Badious „Das Jahrhundert“ (Diaphanes, 2006) überprüfen, was im Theater-Dolmetsch-Esperanto unterzugehen pflegt: Die Moral- und Geschichtsauffassungen der beiden Methusalixe stehen sich in etwa so nahe wie einst die von Willy Brandt oder Walter Ulbricht.
Wo Negri eine moderne Globalisierungs- und Kapitalismustheorie vertritt – die die Fehlannahmen und Verbrechen der autoritären Linken reflektiert! –, schwelgt Badiou in esoterisch anmutender Antikapitalismus- und Arbeiterklassen-Kampfrhetorik. Dies zu erkennen, ist wichtig, will man eine humanistisch orientierte Kapitalismuskritik nicht mit der totalitären in einen Topf werfen, wie dies Thomas Assheuer in der Zeit letzte Woche tat („Vorwärts, Genossen!“). An dem Badiou geprägten akademischen KP-Milieu prallt auch ein antiautoritärer Negri ab. Nur was wollte er dann am Freitag in Berlin? Beim Spiel Schweiz gegen Honduras lag doch mehr Spannung drin.
■ Der Autor leitet das Kulturressort der taz Foto: privat