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Archiv-Artikel

AN MEINEM TISCH DER VORSITZENDE DER ÖRTLICHEN WIRTSCHAFTSKOMMISSION, DER VIZEBÜRGERMEISTER UND DER PARTEISEKRETÄR Das Abendessen beginnt mit 42-prozentigem Reisschnaps

VON FELIX LEE

NEBENSACHEN AUS PEKING

Ein Staatsbankett war es zwar nicht. Viel hat dazu aber dann doch nicht gefehlt. Die Regierung der Stadt Dezhou in der Provinz Shandong rund anderthalb Hochgeschwindigkeitszugstunden von Peking entfernt, hat mich neulich eingeladen, um für zwei Tage an ihrer Internationalen Solarkonferenz teilzunehmen. Moderne pur, habe ich mir gedacht und bin der Einladung mit großer Erwartung gefolgt.

Dezhou ist in der Tat keineswegs irgendeine Stadt in irgendeiner chinesischen Provinz. Als Low-Carbon-City ist die Fünfmillionenmetropole im ganzen Land bekannt. Tatsächlich: Bei meiner Ankunft am solarbetriebenen Bahnhof blicke ich auf ein Meer an Solardächern.

Das Ambiente für meine Solarrecherche in diesem kohleverseuchten China stimmt also. Und als „Gast aus dem Ausland“ darf ich beim abendlichen Bankett sogar am zweitwichtigstem Tisch Platz nehmen – von immerhin insgesamt 20. In meiner Runde sitzen unter anderem der Vorsitzende der örtlichen Wirtschaftskommission, der Vizebürgermeister und der Parteisekretär. Auch der Firmenchef der ansässigen Solarfirma gesellt sich zu uns.

Wer nun jedoch denkt, bei so geballter Fachprominenz kann ich alles über die Entwicklung nachhaltiger Energie in China erfahren, der sieht sich – wie ich – ganz grundsätzlich getäuscht. Denn an einem Bankett mit so vielen Funktionären wird vor allem eins: gesoffen.

Das fängt bereits vor der Eröffnungsrede an. Kein Aperitif, kein Wein, nicht einmal kühles Bier steht zur Auswahl. Das Abendessen beginnt gleich mit 42-prozentigem Reisschnaps. „Ganbei“, begrüßt mich der Parteisekretär, was so viel heißt wie: Trockne dein Glas.

Und das ist wörtlich gemeint. In einem Zug kippen sich meine Tischnachbarn das scharfe Gesöff in den Rachen. Wer wie ich zunächst nur daran nippt, dem wird das Glas bis zum Rand gefüllt und damit aufgezogen, doch nicht so bescheiden zu sein. Die Blicke der gesamten Runde richten sich auf mich.

Und so geht es den ganzen Abend. Die Speisen sind bloß Beiwerk. Die Gesang- und Tanzeinlagen auf der Bühne werden vom Publikum kaum wahrgenommen. Den Reden vom Haupttisch aus hört gar niemand zu. Sobald eine Schnapsflasche leer ist, steht die nächste bereits auf dem Tisch. Gespräche sind bereits nach zwei Gläsern kaum mehr möglich.

Der Abend findet dann aber doch ein jähes Ende. Kaum wird nach dem 10. oder 11. Gang – so genau kann das angesichts des Alkoholpegels keiner mehr zählen – die Obstplatte serviert, steht der gesamte Saal wie auf Kommando auf und geht.

Zum Abschied gibt es eine Schirmmütze mit solarbetriebenem Miniventilator, eine aufziehbare Taschenlampe inklusive Radio und eine Anleitung zur Installation eines Solarmoduls, Marke Eigenbau. Der Abend hat sich also doch gelohnt.