AMOS ELON IST TOT : An Israel denken und verrückt werden
„Wir stehen in der Schuld dieser unglücklichen Menschen, selbst wenn sie und ihre Vorfahren durch verantwortungslose Führer getäuscht worden sind. Sie sind die Opfer unserer Unabhängigkeit“, schrieb Amos Elon am 18. Juni 1967 in der führenden israelischen Tageszeitung Ha’aretz. Er hatte eben ein palästinensisches Flüchtlingslager nahe Jericho besucht. Nun, nach dem überraschend erfolgreichen Ausgang des Sechstagekriegs, ermahnte er seine Leser, müsse sich Israel als weiser Sieger zeigen. Jetzt sei erstmals die Gelegenheit, Frieden zu schließen. „Vielleicht ist das eine Illusion. Aber wir müssen es wenigstens versuchen.“
Diese Hoffnung hat Amos Elon immer wieder getrogen, aufgegeben hat er sie nie. Jetzt ist Elon im Alter von 84 Jahren in seiner Wahlheimat Italien gestorben. 1933, als er acht Jahre alt war, war seine Familie ins britische Mandatsgebiet Palästina emigriert. Ha’aretz-Verleger Gershom Schocken entdeckte den jungen Mann. Seit den Fünfzigern war Elon für die Zeitung als Reporter, später auch als Auslandskorrespondent, unter anderem in Washington, tätig. Einige Zeit lang galt er als einer der wichtigsten Journalisten in Israel, wo er zuletzt aber beinahe vergessen wurde. Seine Bücher, unter anderem eine Biografie Theodor Herzls und eine Geschichte der deutschen Juden zwischen 1743 und 1933, wurden dagegen weltweit gelesen.
Elon analysierte in einer Vielzahl von Texten mit großer Präzision und professioneller Distanziertheit die verpassten Chancen beider Seiten zu einer friedlichen Lösung des Konflikts. Mit Sorge benannte er immer wieder die Folgen der Besatzung nicht nur für die Palästinenser, sondern auch für die israelische Gesellschaft. Dabei blickte er auf den Zionismus eines Herzl, der sich auf die Aufklärung und die Prinzipien der Französischen Revolution bezogen hatte, mit Sympathie. „Der Zionismus war als antidiskriminatorisches Projekt in den Anfangsjahren sinnvoll. Inzwischen ist er überflüssig geworden“, schrieb er 1996. Das Ziel eines demokratischen jüdischen Staats sei erreicht, der Zionismus zu einer nationalistischen und religiösen Ideologie verkommen.
In den Neunzigerjahren distanzierte sich Elon auch räumlich; er zog in die Toskana, vor einigen Jahren gab er seine Wohnung in Jerusalem endgültig auf. Einem Reporterkollegen von Ha’aretz sagte er dazu: „In den wenigen Jahren, die mir noch bleiben, will ich die meiste Zeit auf die Toskana schauen. Nur gelegentlich, hin und wieder, werde ich nach Israel fahren und verrückt werden.“ ULRICH GUTMAIR