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Archiv-Artikel

AMERICAN PIE Das Ende von Dynamite

BOXEN Er hätte das Zeug zu einem Großen gehabt: Der ehemalige Schwergewichts-Weltmeister Michael Dokes stirbt mit 54 Jahren

Michael Dokes war einer der besten Boxer, der jemals in einen Ring kletterte. Oder genauer: Er hätte einer der besten Boxer aller Zeiten werden können. Aber ein Hang zu Suchtmitteln und ein zu Gewaltausbrüchen neigender Charakter verhinderten, dass Dokes jemals sein ganzes Potenzial ausspielen konnte. Vielleicht fehlte ihm auch das Quäntchen Glück, das man braucht im Sport, um es ganz nach oben zu schaffen. Am Sonntag ist Michael Dokes gestorben. Er wurde nur 54 Jahre alt. Ein trauriges, ein typisches Leben für einen Boxer, ein Leben voller Auf und Ab.

Ganz oben stand Dokes am 10. Dezember 1982. Durch einen Sieg gegen Mike Weaver wurde er Schwergewichtsweltmeister. Doch schon damals lag ein Schatten auf seinem Titel: Der Kampf war bereits nach der ersten Runde, in der Dokes den Gürtelinhaber deutlich dominiert hatte, vom Ringrichter abgebrochen worden – zu früh, fanden viele. Deshalb kam es im Mai zum Rückkampf, und Dokes behielt den Titel nur denkbar knapp: Zwei der drei Punktrichter hatten ein Unentschieden gesehen.

Die Regentschaft des 1,90 Meter großen Dokes, der auf dem Weg in den Ring gern Nerzmantel und schicke Hüte trug, während er Rosen an seine weiblichen Fans verteilte, war zwar glamourös, dauerte aber nur neun Monate: Schon in seinem nächsten Kampf verlor er den Titel wieder. Der Südafrikaner Gerrie Coetzee knockte ihn in der zehnten Runde aus. Zu diesem Zeitpunkt kämpfte Dokes bereits weniger mit seinen Gegnern als mit seiner Drogensucht. Nur zwei Tage vor dem Kampf, gab er später zu, hatte er Kokain genommen. Während der Vorbereitung auf einen anderen Fight ernährte er sich vor allem von „Jack Daniel’s und Kokain“. 1986 wurde er wegen Drogenbesitzes in Las Vegas verhaftet, kam aber mit einer Bewährungsstrafe davon.

Nur drei Jahre später verlor Dokes zwar gegen einen aufstrebenden Evander Holyfield, aber lieferte trotz des Kokains und seines Hangs zur Halbwelt dem künftigen Weltmeister den, fand das Fachblatt The Ring, „Heavyweight Fight of the Decade“. Als sich Holyfield sehr viel später an die zehn aufregenden Runden erinnerte, sagte er, Dokes hätte die schnellsten Fäuste besessen, die er jemals gesehen habe.

Doch Dokes hatte nicht nur schnelle Hände, sondern auch schnelle Füße. Seine Beinarbeit war für einen Schwergewichtler herausragend, trotzdem war sein Punch nicht zu unterschätzen: Mehr als die Hälfte seiner Kämpfe gewann er durch K.o., sein Spitzname war „Dynamite“. Sein großes Potenzial hatte er bereits bei den Amateuren angedeutet: Bei den Panamerikanischen Spielen verlor er 1975 nur knapp gegen den Kubaner Teofilo Stevenson, der drei Jahre zuvor in München die erste seiner drei olympischen Goldmedaillen gewonnen hatte und der wahrscheinlich beste Amateurboxer aller Zeiten war.

Doch die Sucht sorgte dafür, dass aus dem großen Talent niemals ein wirklich großer Boxer wurde. Trotzdem war der aus Akron in Ohio stammende Dokes in den achtziger Jahren Weltspitze und immer wieder nah dran, sich den Titel zurückzuholen. Doch erst im Jahr 1993 bekam er tatsächlich einen Titelkampf – und wurde demontiert: Der frisch gekürte Weltmeister Riddick Bowe, neun Jahre jünger und sechs Zentimeter größer, gewann durch technischen K.o. nach nur einer Runde. Dokes soll direkt vor dem Kampf noch einen großen Teller Nudeln gegessen haben und bewegte sich entsprechend schwerfällig.

Schon damals war Dokes längst über seinen Zenit, aber drei Jahre später trieben ihn Geldprobleme noch einmal in den Ring zurück. Auch sein 61. und letzter Kampf war ein technischer K.o. und dauerte nur zwei Runden. Man schrieb das Jahr 1997 und ein offensichtlich kaum trainierter Dokes wog fast 130 kg. Von da an ging es nur noch bergab: Im Jahr 2000 wurde Dokes wegen versuchten Mordes zu zehn Jahren Gefängnis verurteilt, weil er seine Verlobte Sandra Cummings fast totgeprügelt hatte. Acht Jahre seiner Strafe saß er ab, dann kam er auf Bewährung frei. Vier Jahre später ist Michael Dokes an Leberkrebs gestorben. THOMAS WINKLER