AMERICAN PIE : Das Gehirn des Erfolgs
BASKETBALL Der anfangs verkannte Rajon Rondo lenkt das Spiel der Boston Celtics. Seine Vorlagenquote ist unerreicht
Es ist einfach unglaublich“, entfährt es Boston-Celtics-Coach Doc Rivers, „diese Übersicht, die er hat. Der Junge sieht sogar Dinge, die selbst mir nicht auffallen.“ Der so überschwänglich gepriesene „Junge“ ist Rajon Rondo, Aufbauspieler der Neuengländer und nicht erst seit dieser Saison in überragender Form. Im Schnitt verteilt der 24-Jährige knapp 13 Vorlagen pro Partie, ligaweit der mit Abstand beste Wert, seit Jahren sogar. Rondo lenkt das Spiel der Celtics, ausgerechnet er, der jüngste und unerfahrenste Akteur in der Starting Five des Rekordmeisters, ist das Gehirn des Erfolges.
Dabei wurde Rondo zu Beginn seiner NBA-Karriere gerade als Schwachpunkt ausgemacht. In seinem zweiten Jahr in Boston, 2007, wurde der Kader mit den Spielergranden Kevin Garnett und Ray Allen aufgewertet. Im Trio mit Mannschaftskapitän Paul Pierce sollte nach langer Durststrecke wieder ein Titel her, und Rondo, der Unbeleckte, wurde auch mangels spielerischer wie finanzieller Alternativen zum Stammspieler auf der Point-Guard-Position neben dem „dreiköpfigen Monster“.
Boston gewann tatsächlich den Titel, mit einem soliden Rondo – dem diese Erfahrung als Initialzündung dienen sollte. In jeder Spielzeit verbesserte der 1,85-Meter-Mann mit dem so zierlich wirkenden Körper seinen Assistschnitt, profiliert sich immer öfter als Allrounder, der auch im Rebound überraschend stark ist. „Wir sind überzeugt, dass Rondo ein besonderer Spieler werden kann“, erklärte Celtics-Manager Danny Ainge schon, als er ihn 2006 unter Vertrag nahm. Rondo kam mit besten Voraussetzungen: Er wurde in der als Talentschmiede bekannten Oak Hill High School in Virginia ausgebildet und spielte daraufhin in der angesehenen Basketballmannschaft der University of Kentucky, in seinem Heimatstaat.
In Boston gilt er längst als wertvollster Spieler, ist Publikumsliebling – trotz oder vielleicht gerade wegen seiner Verbissenheit auf dem Parkett im heimischen „TD Garden“. Ein Lächeln oder gar ein gelöstes Lachen ist selten bis nie im Gesicht des laut eigener Website „extrem schüchternen“ Spielmachers mit der Rückennummer 9 zu sehen. Auch die Resultate eines Cover-Fotoshootings für das renommierte SLAM-Magazin sehen eher nach Trauer denn nach Freude aus. Dass Rondo aus dem US-Kader für die Weltmeisterschaft 2010 gestrichen wurde, war ihm ganz recht – zu sehr hätte ihn während der zwei Wochen im Gastgeberland Türkei das Heimweh geplagt.
Trotz aller Schüchternheit – an Selbstvertrauen mangelt es Rondo nicht: „Ich kann 20 Assists pro Spiel verteilen. Wir sind so treffsicher, lassen den Ball gut laufen. Es ist möglich.“ 20 Assists pro Spiel, das wäre der mit Abstand höchste Saisonschnitt der NBA-Geschichte. Die bisherige Bestmarke liegt bei 14,5 Vorlagen, aufgestellt in der Saison 1989/90 von Liga-Legende John Stockton, einem der besten Aufbauspieler aller Zeiten. „Rajon glaubt wirklich daran, dass er das schaffen kann“, sagt Teamkollege Von Wafer. „Er hat diesen unbändigen Glauben an sich selbst.“
Der so unbändig Glaubende ist das Kontrastprogramm zu den anderen Spielmachern der Liga, punktet oft wenig bis gar nicht, wirft selbst nur, wenn alle Passoptionen zugestellt sind. In einem Saisonspiel vor einem knappen Jahr geriet Rondo mit New-Orleans-Star Chris Paul aneinander, den viele immer noch als ligaweit besten Aufbauspieler sehen. „Ich spiele, um jedem meiner Gegenspieler zu beweisen, dass ich der Beste bin“, sagte Rondo danach. Einzig Derek Fisher vom Erzrivalen Los Angeles Lakers sei ihm ebenbürtig – „er ist der Einzige, der mehr Meisterschaftsringe hat als ich“, erklärt er. Die Statistik gibt ihm recht: Fisher gewann fünf Titel mit L. A., Rondo einen mit Boston.
Paul und Deron Williams von den Utah Jazz, beide oft in der Kritikergunst wegen ihrer angeblichen Führungspersönlichkeiten vorgezogen, sind in ihren bisherigen Karrieren nie ansatzweise in die Nähe der wuchtigen Meistertrophäe gekommen. Die vielen unverständlichen Lobhudeleien haben sie noch nicht gerechtfertigt – Spielmacher werden am Erfolg gemessen. Das vielleicht größte Kompliment an Rondo kommt von Kobe Bryant, dem alles überragenden Lakers-Star: „Wenn die Celtics Rondo den Ball geben und ihn einfach machen lassen, dann sind sie am besten.“ DAVID-EMANUEL DIGILI