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Archiv-Artikel

AMERICAN PIE So jung und schon so verdorben

FOOTBALL Der College-Sportverband NCAA behandelt seine Sporthelden nicht nur als Amateure, sondern auch mit zweierlei Maß

Jameis Winston ist 20 Jahre jung, der größte Star seines Sports und gerade auch eins seiner größten Probleme. Denn Jameis Winston kann nicht nur ziemlich schnell rennen und einen Football akkurat werfen, er hat offensichtlich auch Schwierigkeiten, Gesetze einzuhalten und Regeln zu befolgen. Die Karriere des Quarterbacks der Florida State University ist gespickt mit den höchsten Auszeichnungen und sportlichen Erfolgen, aber auch mit Skandalen.

Der neueste Vorwurf: Winston soll bezahlt worden sein fürs Schreiben von Autogrammen. Weil Hunderte von ihm signierte Trikots, Fotos, Footballs und Andenken wie Mini-Footballhelme im Umlauf sind, hat nun seine Universität eine Untersuchung eingeleitet. Natürlich darf Winston Autogramme geben, aber als Sportstipendiat – so legt es die College-Sportorganisation NCAA fest – darf er keine weiteren Einkünfte haben.

Eine Regelung, die zuletzt auch Todd Gurley zum Verhängnis wurde: Der Running Back der Georgia Bulldogs galt als Favorit auf die Heisman Trophy. Die traditionelle Auszeichnung für den besten College-Footballspieler der Saison, die im vergangenen Jahr noch Winston gewonnen hatte, besitzt ein extrem großes Renommee in den USA. Darauf muss Gurley nun verzichten, denn er wurde Anfang Oktober von der Uni von Georgia auf unbestimmte Zeit suspendiert. Bis sein College geklärt hat, ob der 20-Jährige für das Signieren von Memorabilia Geld bekommen hat, wird er nicht mehr spielen.

Es klingt absurd, aber für die NCAA sind College-Sportler vor allem immer noch: Amateure. Eine Sichtweise, die mittlerweile viele für überholt halten. Schließlich können die Unis mit erfolgreichen Football- oder Basketball-Mannschaften Millionen verdienen, und die NCAA besitzt einen milliardenschweren Fernsehvertrag mit CBS. Die Athleten allerdings, die den Umsatz bringen und wie Profis trainieren, werden nicht einmal an den Lizenzgebühren jener Computerspiele beteiligt, auf deren Titel sie zu sehen sind.

Aber nicht nur der überkommene Amateurgedanke wird der NCAA vorgehalten. Ihre Kritiker monieren auch, dass im College-Sport allzu oft mit zweierlei Maß gemessen wird. Denn während Gurley suspendiert ist, weil er unerlaubterweise Geld angenommen haben soll, wurde Winston im November 2013 nicht gesperrt, obwohl gegen ihn wegen einer Vergewaltigung ermittelt wurde. Die NCAA verweist auf ihre Regeln: Für unerlaubte Zuwendungen ist sie zuständig, für Straftaten die Polizei. Die NCAA, so die Kritiker, sorgt sich nur ums Geschäft, nicht um die Moral. Wegen der vermeintlichen Vergewaltigung kam es nie zu einer Anklage. Wenige Wochen später holte Winston mit den Florida State Seminoles den College-Titel und gewann die Heisman Trophy.

Es war weder das erste noch das letzte Mal, dass Winston Schwierigkeiten bekam: Im Sommer 2013 ließ er aus einem Laden Krabbenfleisch mitgehen und wurde zu 20 Sozialstunden verurteilt. Im September erst stieg er mitten auf dem Campus auf einen Tisch, grölte Obszönitäten und wurde für ein Spiel gesperrt.

Die Vergewaltigungsvorwürfe verliefen wohl auch deshalb im Sand, weil nicht eben intensiv ermittelt wurde. Die New York Times hat nun recherchiert, dass die Polizei in Tallahassee, wo die Florida State University beheimatet ist, Verfehlungen von Football-Spielern über Jahre nicht mit demselben Eifer verfolgte wie die von gewöhnlichen Verdächtigen. Die Leiterin des örtlichen Frauenhauses sagte der Zeitung, „von Footballspielern misshandelte Frauen trauen sich nicht zur Polizei“. Die meisten Opfer würden erst gar nicht Anzeige erstatten. Viele Polizisten sind glühende Seminoles-Fans und verdienen sich ein Zubrot, indem sie bei Heimspielen der Seminoles den Verkehr regeln – und dafür von der Universität bezahlt werden.

Zu viele verdienen zu gut an den jugendlichen Sporthelden. Das ist in Tallahassee nicht anders als in den vielen anderen Kleinstädten, in denen große Universitäten angesiedelt sind. Der College-Sport hat ein strukturelles Problem. THOMAS WINKLER