AM SET : Emotional gesteuert
Am Set geht es drunter und drüber. Die Schauspielerin stolpert über die Kameraschiene. Es wird in drei Sprachen geredet, nämlich auf Türkisch und auf Deutsch, gedreht wird in einem von allen Beteiligten sehr geradebrechtem Englisch. Der Kameramann hat sich in die Aktrice verguckt, der Hauptdarsteller pflegt seinen Alkoholismus und der Regisseur steigt aus Respekt und Eifer gleich mit ein. Nacht durchgesoffen, morgens ohne Schlaf wieder am Set. Koks jemand? Lass mal, passt nicht ins Budget. Der Fahrer wartet, der Fahrer wartet immer. Das ist sein Job.
Ich sitze am Rand und schaue mir das alles als Zaungast an. Da ich ein Freund der Aktrice bin, vielleicht sogar ihr Liebhaber, sind alle scheißfreundlich zu mir. Die Aktrice möchte mit dem Regisseur reden, sie versteht ihre Rolle nicht, aber da sie im Osten aufwuchs, ist ihr Englisch zu schlecht. Und der Regisseur ist zu schüchtern. Der Kameramann freut sich, übersetzen zu können. Er lächelt unentwegt und schreibt im Kopf das nicht vorhandene Drehbuch um. Habe ich schon erwähnt, dass er sich in die Aktrice verguckt hat?
Ich sitze im Hof, Drehschluss, die Nachbarn beschweren sich über den Lärm, da bei der Wärme alle noch draußen stehen und nicht nach Hause wollen. Esther zieht sich um. Ich überlege, ob das alles immer so ist beim Film. Dass alle emotional gesteuert sind, statt produktiv intellektuell, dass alle heimlich Klaus Kinski sein wollen oder mindestens Michael Madsen, dass die Grenze zwischen Arbeit und Privatem gnadenlos verwischt wird, und Esther sagt nein.
Von Michael Madsen sind übrigens vier Gedichtbände erschienen, in den USA. Esther interessiert das nicht. Sie sagt sonntags den Dreh ab und telefoniert mit mir darüber. Geschlagene zwei Stunden lang. Später überlegt sie es sich vielleicht noch mal anders.
RENÉ HAMANN