ALTER MEISTER : Frühstück in Masar-i-Scharif
Milde wirkt die Stimmung an dieser Tafel. Es ist Frühstückszeit in Masar-i-Scharif. Jener friedliche Moment, an dem man sich in Nordafghanistan zueinandersetzt und die Obliegenheiten des anbrechenden Tages bespricht.
Dass der Betrachter jedoch nur einen Anschein von Leichtigkeit, ja Heiterkeit verspüren mag, verdanken wir Bildaufbau und Farbkomposition. Schauen wir genauer hin.
Ungewöhnlich: Die zentrale Figur, eine schmale Dame mit blonder Tufffrisur, hat der Fotokünstler halb links oben platziert. Anders als die anderen Abgebildeten trägt sie zur hellblauen Hemdbluse ein tannengrünes Wolljäckchen – eine farbliche Hommage an den Flecktarn der Untergebenen. Trotz ihrer sichtbaren körperlichen Unterlegenheit dominiert die Dame die Kriegertruppe. Während ihre Tischgenossen die Blicke auf ihre unangetasteten Frühstücksteller gesenkt halten – einer kratzt sich gar verlegen am Ohr –, richtet die Dame herausfordernd lächelnd das Wort an ihr Gegenüber, einen ranghohen Militär, der seinen Dienstgrad durch kunstvoll geföntes Silberhaar unterstreicht.
Die horizontale Reihung der Tabletts sowie das Dottergelb der Rühreier verleihen dem Bild Struktur. Während die anderen vor reich gefüllten Tellern sitzen, begnügt sich die Dame mit trockenem Brötchen, Cappuccino und einem halben Schälchen Müsli. Sie, man sieht es an ihrem vital nach vorn gebeugten Oberkörper, hat vor, wiederzukommen. So oft, bis alle ihre Blicke auf sie gerichtet halten. AM