ALLEIN IM HOTEL : Das Gewissen
Ich saß draußen in meiner Stammkneipe in Prenzlauer Berg. Es war ein lauer Spätsommerabend. Die Straßenlaternen waren gerade angegangen. Die Tram ruckelte vorbei. Ich trank ein Glas Bier, beobachtete die Passanten und ließ es mir gut gehen. An den Nachbartisch setzten sich ein Mann und eine Frau. Die Frau war schlank, hatte lange schwarze Haare und war außer sich vor Wut.
Mit einem Akzent, der sich nach Balkan anhörte, sagte sie: Ich hasse alle deutschen Männer. Kannst du dir das vorstellen, der hat mich einfach sitzen gelassen. Ihr Freund fragte, was denn passiert sei. Sie antwortete: Ich habe da einen Kollegen. Na ja, wir mögen uns. Wir haben uns auch schon geküsst. Aber er ist verheiratet, und ich bin verheiratet. Jetzt wollten wir miteinander schlafen. Also habe ich heute Nacht ein Hotelzimmer reserviert. Ich warte also im Hotelzimmer auf ihn, und nach einer halben Stunde ruft er mich an und sagt, dass er das wegen seines Gewissens nicht machen könne. Ich hasse alle deutschen Männer. Alles Weicheier und Schlappschwänze. Es geht doch nur um Sex. Mein Gott, scheiß doch auf das Gewissen! Eines sage ich dir: Jeder serbische Mann wäre heute Nacht gekommen und hätte mich richtig durchgevögelt.
Die zwei bestellten sich Rotwein. Die Frau konnte oder wollte sich nicht beruhigen. Mit leicht hysterischer Stimme sagte sie: Ich brauche heute Abend noch Sex. Wir gehen heute Nacht noch tanzen, und ich werde mir irgendeinen schnappen und mit ihm ficken, und am Montag, im Büro, werde ich diesem Schlappschwanz alles erzählen.
Irgendwann zahlten die beiden. Ich beobachtete die Frau aus den Augenwinkeln. Sie war hübsch in ihrer Wut. Als sie gingen, schimpfte sie immer noch: Wo war sein Gewissen, als er mich geküsst hat? Lässt mich einfach sitzen. Und ich blöde Kuh habe auch noch das Hotelzimmer bezahlt. ALEM GRABOVAC