AKW-NEUBAU IN DER UKRAINE: DA FREUT SICH DIE NOMENKLATURA : Altes Denken in strahlendem Orange
Da vergeht die Freude über die Demokratisierung der „orangenen Revolution“: Die Ukraine will in den kommenden 25 Jahren ein Dutzend neue Atomkraftwerke bauen, um auslaufende AKWs zu ersetzen. Ausgerechnet das Land, in dem der Reaktor von Tschernobyl steht, der die größte Katastrophe in der Geschichte der zivilen Atomtechnologie hervorrief. Ausgerechnet das Land, das sich in den letzten Monaten so schnell Richtung Europa bewegt hat.
Die Ukraine ist ein Land im Systemwechsel. Ihr Energiesektor drückt nicht nur die ökologische, sondern auch die demokratische Reife der Gesellschaft aus. Bei Verteilung und Verbrauch von Energie herrscht noch immer eine solche Verschwendung, dass allein deren entschlossene Bekämpfung ganze AKWs ersetzen könnte; für die sinnvollen, aber teuren Investitionen in die gesamte Infrastruktur ließe sich jederzeit Geld bei der Osteuropabank lockermachen. Aber eine solche Energiepolitik, die auf sparsamen Umgang mit Strom, Heiz- und Prozesswärme setzt, erfordert Selbstverantwortung, echte Preise und insbesondere eine dezentrale Produktion – die wiederum die demokratische Teilung von Verantwortlichkeit erlaubt. Von alldem ist in der Ukraine nichts zu bemerken – und sie scheint auch nicht erwünscht zu sein.
Stattdessen soll ein Staatskombinat für je 4 Millionen Einwohner ein neues Atomkraftwerk bauen. Die offizielle Erklärung, man wolle energiepolitisch unabhängiger von Russland werden, reicht nicht aus: Die Zustimmung der demokratischen Regierung zu diesem Projekt wirkt, als wolle sich Ministerpräsidentin Timoschenko auf diese Weise die Unterstützung der alten staatswirtschaftlichen Nomenklatura und ihrer dubiosen privaten Unterauftragnehmer sichern.
Möglicherweise glaubt sie sogar, dass die AKW-Pläne langfristig als Verhandlungsmasse mit der EU taugen. Doch damit täuscht sie sich: Die EU nimmt Reaktorneubauten wie etwa in der Slowakei hin und legt nur Wert auf die Stilllegung besonders veralteter Anlagen. Aber die will die Ukraine ja schon selbst vom Netz nehmen. DIETMAR BARTZ