AIDS-MEDIKAMENTE WIRKEN BEI HUNGERNDEN PATIENTEN FAST GAR NICHT : Erst billig essen, dann teuer heilen
Ärzte empfehlen oft, Medizin nicht auf leeren Magen zu nehmen. Doch dieses Gebot des gesunden Menschenverstands wird bei der Aidsbekämpfung in den Entwicklungsländern häufig missachtet. Geberstaaten haben bis vor kurzem Milliarden Dollar für HIV- und Aidsmedikamente in Afrika, Asien und Lateinamerika bereitgestellt – aber um das Thema Ernährung hat sich fast niemand gekümmert.
Eine Studie aus Singapur, publiziert in der britischen Fachzeitschrift HIV Medicine, kommt zu dem Ergebnis, dass unterernährte Patienten, die eine antiretrovirale Therapie beginnen, sechsmal so häufig sterben wie normal ernährte Patienten. Denn sie verkraften die Nebenwirkungen schlechter und brauchen länger, um ihre Abwehrkräfte wieder aufzubauen. Zudem können sie die starke Dreifachkombination antiretroviraler Medikamente nicht so gut aufnehmen.
In Kenia, Malawi und Haiti hilft das UN World Food Programme inzwischen dabei, HIV-positive Menschen mit der nötigen Nahrung zu versorgen, damit sie die teure antiretrovirale Medikation optimal nutzen können. Die Essensrationen beinhalten mit Vitaminen und Mineralien angereicherten Haferbrei, Weizen- oder Maismehl, Bohnen und Speiseöl. Diese Nahrungsmittel werden, im Gegensatz zu den antiretroviralen Medikamenten, nicht lebenslang benötigt. Schon mit Essensrationen für sechs Monate können Patienten wieder zu Kräften kommen. Dabei muss die gesamte Familie – nicht nur der Patient – unterstützt werden. Sonst besteht die Gefahr, dass Frauen und Kinder in riskante sexuelle Formen der Geldbeschaffung getrieben werden, um die Familie zu ernähren.
Das World Food Programme schätzt, dass rund eine Million HIV- und Aidspatienten zusätzliche Nahrungsmittel benötigen. Das würde pro Kopf nur 50 Cent täglich kosten. Wird auf diese stabilisierende Ernährung verzichtet, ist die Finanzierung antiretroviraler Medikamente vergleichbar mit einer horrend teuren Autoreparatur, ohne dass Geld für Benzin vorhanden wäre. JAMES MORRIS
Der Autor ist Exekutivdirektor des World Food Programmeder UN und Sonderbeauftragter des UN-Generalsekretärsfür das Südliche Afrika