AGRAR-INITIATIVEN (6) : Vernetzt statt verkumpelt
Norddeutschland ist das Lieblingsspielfeld der Agrarindustrie. Immer mehr und immer größere Stallanlagen werden geplant – und gebaut. Aber die BürgerInnen lassen sich das nicht mehr gefallen: Die taz nord stellt Bündnisse, Initiativen und Vereine vor, die sich wehren. Heute: Ostfriesen wider Riesenmastställe.
Nach dem Schmaus geklauter Hähnchen bei Witwe Bolte lagen Max und Moritz mit vollen Bäuchen satt im Gras. Jedem ragte ein Hühnerbeinchen aus dem Mund. Schlaraffenland oder Horror? Die Emder Bürgerinitiative für eine gesunde Landwirtschaft sieht das Schlaraffenland kritisch und möchte den Horror verhindern.
In Wybelsum bei Emden ist die Zeit vorbei, da sich Bäuerin Elke Odinga in der Öffentlichkeit für artgerechte und ökologische Eierproduktion einsetzte. Ihr Gatte Gerhard möchte heute zwei Ställe für die Aufzucht von je 42.000 Küken bauen. Er ist in mastfreudiger Gesellschaft. Überall in Ostfriesland sind Mastställe von teilweise über 100.000 Tieren genehmigt, beantragt oder geplant.
„Wir wohnen knapp 200 Meter neben dem Odingahof. Wird die Kükenmast hier zugelassen, können wir die Koffer packen“, sagt Michael Bergmann, Sprecher der Bürgerinitiative gegen die industrielle Mast. „Wir sind nicht gegen Landwirtschaft. Aber was hier als industrielle Fleischproduktion abgezogen werden soll, ist überflüssig, umweltschädlich und schadet in letzter Konsequenz der Landwirtschaft“, fasst Bergmann die Position der Emder BI mit 150 MitstreiterInnen zusammen.
„Wir haben die Erfahrung gemacht, dass viele Gemeinden und Städte wenig Wissen über die Problematik der Genehmigung von Mastställen haben. Deswegen winken sie die Bauanträge einfach durch“, berichtet Bergmann. Außerdem stünden hinter einzelnen Bauern große Konzerne als Investoren, vermutet Bergmann.
In Emden hat sich die BI einen Punkt aus dem Antragsgutachten herausgepickt. Sie untersuchte die Verdriftung der Immissionen der geplanten Wybelsumer Mastanlagen und entdeckte Fehler in den Antragsunterlagen. Nach öffentlichem Druck musste die Stadtverwaltung das Genehmigungsverfahren auf Eis legen. „Wir erfinden das Rad nicht neu.
Wir sind gut vernetzt mit anderen Initiativen. Wir tauschen unser Wissen aus, und erreichen zusammen eine umfassende Kompetenz“, sagt Bergmann. Als in der Nachbarstadt Norden die Mastbauern das Mantra herunterleierten, es gäbe keine Studie über den gesundheitsgefährdenden Ausstoß von Keimen bei Mastbetrieben, erstellte die örtliche BI zusammen mit Ärzten in einer Fleißarbeit einen Reader aller entsprechenden Studien.
In vielen Gemeinden ist die Verkumpelung der Politik mit mastwilligen Landwirten ein Problem. Ähnlich wie bei Windparks sind die Antragsteller oft selbst in den Gemeindevertretungen tätig oder haben Verwandte und Freunde dort. Man kennt sich eben.
Auch die Gegenseite schmiedet Bündnisse. Aus der Emder BI ist ein neuer Verein hervorgegangen. „Wenn wir sehen, in einer Gemeinde traut sich niemand gegen unsinnige Planungen anzugehen, dann bieten wir denen unsere Beratung an“, umreißt Bergmann das Vereinsziel.
Zumindest in Emden haben die BI und der Verein einen Teilerfolg erzielt. Seitdem die Mastanträge auf Eis liegen, hat die Verwaltung beschlossen, ihr „Steuerungs- und Orientierungsrecht“ für landwirtschaftliche Großanlagen wahrzunehmen. Die Stadt will jetzt Gebiete ausweisen, in denen keine Mastbetriebe gebaut werden dürfen; aber sie will auch geeignete Flächen freigeben.
Baustadtrat Andreas Docter umschreibt das Problem: „Das Bauprivileg für die Landwirtschaft können wir nicht aussetzen. Wir können darauf achten, dass alle Bedingungen eingehalten werden. Damit wird ein Antrag vielleicht verzögert. Aber wenn alle rechtlichen Bedingungen erfüllt sind, müssen wir Mastbetriebe auf ausgewählten Grundstücken genehmigen.“
Bergmann schreckt das nicht: „Wir machen weiter. Vielleicht entscheiden sich die Kunden an der Kasse ihre Supermarktes gegen Masthähnchen.“ THOMAS SCHUMACHER