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Archiv-Artikel

AFRIKAS ARMEEN BRAUCHEN KEINEN OBERBEFEHLSHABER Soldaten als Reformer

So kennt und liebt man den libyschen Revolutionsführer. Die 53 Staaten Afrikas, hat Muammar al-Gaddafi gesagt, sollten ihre Armeen alle auflösen. Dann könnte eine neue, geeinte Armee Afrikas gebildet werden, mit „nur“ einer Million Soldaten. Vermutlich sollen die dann auch unter libyschem Oberkommando stehen, damit Afrikas Chefvisionär nach Gutdünken überall auf dem Kontinent einmarschieren kann.

Gaddafis Vorstoß kommt nicht aus heiterem Himmel. Er beruht auf dem alten Traum afrikanischer Einheit, den der Staatenbund „Afrikanische Union“ (AU) derzeit auf allen möglichen Ebenen gleichzeitig zu verwirklichen sucht: ein panafrikanischer Entwicklungsplan, ein panafrikanisches Parlament, ein Sicherheitsrat, ein Gerichtshof und diverse andere Institutionen. Sie sollen bald 50 Jahre nach Ende der Kolonialära den alten Traum der Entkolonisierer vom geeinten, freien Afrika wahr machen.

Als Afrikas junge Staaten das Licht der Welt erblickten, waren ihre neuen Armeen ein Symbol von Unabhängigkeit und nationaler Einheit. So wie die Einheitspartei auf der politischen Ebene und staatliche Wirtschaftsbetriebe auf der ökonomischen sollten auch auf der militärischen Ebene alle Kräfte gebündelt werden. In vielen Ländern war das Militär die einzige Institution, in der ethnische Differenzen nicht zählten, in denen jeder 18-Jährige die gleichen Chancen hatte und jeder Einzelne sich als Bürger fühlen konnte. Immer wieder ergriffen junge, dynamische Militärs bei Streitereien zwischen alten, abgehalfterten Zivilisten die Macht und versprachen Sauberkeit und Ordnung, manchmal auch das universelle Glück und die Weltrevolution.

Und überall in Afrika zerbrachen diese Ideale an der harten Realität. Mit jedem afrikanischen Militärputsch, so großmäulig auch die neuen Machthaber immer wieder die alten Träume zu neuen erklärten, entwickelten sich Tribalismus und Korruption, Machtmissbrauch und Gewaltherrschaft zu bestimmenden Merkmalen. Als in manchen Ländern der Staatszerfall begann, zerfielen dort auch die Armeen. Mit wenigen Ausnahmen sind die Bürgerkriegsparteien widerstreitende Fraktionen eines einst mehr oder weniger geeinten Sicherheitsapparates, manchmal sogar widerstreitende Kameraden aus einer ehedem gemeinsamen Truppe. Das macht es in vielen Fällen so schwer, der einen Gruppe staatliche Legitimität zuzubilligen und die andere zu Rebellen abzustempeln, zumal sich diese Rangordnung per Umsturz umkehren lässt.

Nichtsdestotrotz kommt es bis heute zu Militärputschen, in denen die neuen Machthaber auf das alte Ideal der Armee als Avantgarde der Nation verweisen. Die nach diesem Muster vollzogenen Umstürze in der Zentralafrikanischen Republik im März 2003 und in Guinea-Bissau im September 2003, beides Länder mit intakten Armeen und zu Grunde gewirtschafteten Staatsapparaten, wurden in den jeweiligen Regionen des Kontinents als Signale eines politischen Neuanfangs begrüßt.

Die Gewissheit von Offizieren, etwas Besseres zu sein, speist auch die zunehmende Bereitschaft afrikanischer Armeen, in kriselnden Nachbarländern militärisch zu intervenieren. Beim Krieg in der Demokratischen Republik Kongo, der zeitweise bis zu sieben ausländische Armeen auf einmal beschäftigte, marschierten sie noch im Alleingang ein. Dann, in den Kriegen Westafrikas – in Sierra Leone, Liberia, Elfenbeinküste, Guinea-Bissau –, gab es für westafrikanische Militärinterventionen immer eine regionale Struktur und meist auch ein regionales politisches Mandat, wenn nicht gar eines der UNO. Unvergessen ist dabei zumindest in Afrika die alte Zeit der Befreiungskriege, als beim Kampf gegen weiße Minderheitsregime im südlichen Afrika grenzüberschreitende Solidarität unter den „Frontstaaten“ galt und Militärführer problemlos von einem Land ins andere wechselten.

Die mächtigen Nationen der Welt, die sich an diese Zeiten nur ungern erinnern, setzen heute ihrerseits für Konfliktlösung in Afrika am liebsten auf afrikanische Friedenstruppen und bilden dafür immer mehr afrikanische Soldaten aus. Im Erfolgsfall – wenn also aus der Militärhilfe Soldaten hervorgehen, die nicht morden, plündern oder ethnische Säuberung betreiben – rehabilitiert dies die Institution des Militärs. Es häufen sich gar die Fälle, wo als UN-Blauhelme entsandte afrikanische Soldaten nach der Rückkehr in die Heimat als ambitionierte politische Reformer auftreten.

Für Gaddafi sind die Militärausbildungsprogramme der westlichen Nationen in Afrika Vorboten einer Rekolonisierung. Er täuscht sich: Es sind die Vorboten einer zweiten Ära der Utopien, in denen afrikanische Uniformträger sich wieder als Retter ihrer Nation oder notfalls auch einer anderen begreifen. Der Libyer sollte eine US-finanzierte Akademie für Friedenstruppen aufmachen. Dann hätte er seine panafrikanische Streitmacht schnell zusammen. DOMINIC JOHNSON